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Welt braucht Revolution gegen Gewalt

Kirche in Not · 
25.10.2016

Syrischer Ordensmann war fünf Monate Geisel des IS – und setzt sich dennoch für Versöhnung ein.

Pater Jacques Mourad gehört der syrischen Ordensgemeinschaft „Mar Mousa al-habashi“ („Heiliger Moses von Abessinien“) an. Er war Prior des Kloster Mar Elian, einem Wallfahrtszentrum nahe der Stadt Karjatain. Im Mai 2015 wurde Mourad von Kämpfern des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS) entführt. Sein Kloster wurde zu einem großen Teil zerstört. Das Schicksal von Jacques Mourad erlangte deutschlandweit Aufmerksamkeit, als ihn Schriftsteller Navid Kermani bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im Oktober 2015 als „Freund“ und „Kämpfer für Versöhnung“ würdigte. Zu diesem Zeitpunkt war Mourad bereits frei. Heute hält er sich in Europa auf, „als Heimatloser unter Heimatlosen“, wie er selbst sagt. Er setzt alles daran, sein zerstörtes Kloster wiederaufzubauen und der notleidenden Bevölkerung zu helfen. Das weltweite päpstliche Hilfswerk „Kirche in Not“ unterstützt ihn dabei. Vor kurzem war er im deutschen Büro des Hilfswerks zu Gast. Berthold Pelster hat mit ihm über sein Schicksal und die aktuelle Situation in Syrien gesprochen.

Pelster: Pater Jacques, im Mai 2015 wurden Sie zusammen mit einem angehenden Mitbruder von der Terrormiliz IS entführt und in die Wüste verschleppt. Was war der Auslöser? 

Mourad: Ich denke, es gab zwei Gründe für meine Entführung: Der IS wollte der Bevölkerung Angst einjagen, um so jeden Widerstand im Keim zu ersticken. Und ich habe als Prior in der Stadtgesellschaft von Karjatain eine wesentliche Rolle gespielt. Unser Kloster bedeutet den Bewohnern sehr viel, Christen und Muslimen. Die Menschen fühlen sich dort wie zu Hause. Und das stört den IS. Es ist für seine Anhänger eine Blasphemie, das dort das Grab des heiligen Elian verehrt wird. Als die Terrormiliz Karjatain erobert hat, haben sie als Erstes den Friedhof zerstört. Das geschah an vielen anderen Orten in Syrien genauso.

Sie haben es angesprochen: Im August 2015 wurde die Stadt Karjatain vom IS erobert. Rund 250 Christen aus Ihrer Gemeinde wurden verschleppt…
Diese 250 Christen, das waren ganze Familien, Kinder, behinderte, alte und kranke Menschen… Darunter war auch eine krebskranke Frau. Wir haben den IS angefleht, ihr Medikamente zu besorgen. Aber das war umsonst. Die Frau starb. Das war Folter. Sie haben die Menschen nicht physisch gefoltert, aber psychisch. Die Terroristen wollten unseren Lebenswillen zerstören.

Wie wurden Sie in der Gefangenschaft behandelt? 

Es gab sehr schwere Tage voller Gewalt, und dann wurde ich wieder in Ruhe gelassen. Aber Basis der andauernden psychischen Folter der IS-Schergen war der Satz: „Entweder du konvertierst zum Islam, oder wir schlagen dir den Kopf ab!“

Im Oktober 2015, nach über fünf Monaten, gelang Ihnen die Flucht. Wie haben Sie das geschafft?
Das war eigentlich ganz einfach: Wir waren mittlerweile nach Karjatain zurückgebracht worden. Ich habe einen muslimischen Freund dort gefragt, ob er mich mit seinem Motorrad in Sicherheit bringt. Und dann sind wir losgefahren, quer durch die Wüste. Es ist wie durch ein Wunder nichts passiert.

Und wie sieht es mit den anderen entführten Christen aus? Konnten sie auch ihre Freiheit zurückgewinnen?
Das war einer der Gründe, warum ich geflohen bin: Ich wollte eine Möglichkeit finden, den anderen Christen zur Flucht zu verhelfen. Und das haben wir geschafft. Drei Tage später haben wir 58 Personen befreien können. Nach und nach konnten alle christlichen Geiseln durch die Wüste fliehen – immer mit Hilfe von muslimischen Freunden und Nachbarn!

Anfang April 2016 wurde Karjatain schließlich vom IS befreit. Wie ist die Lage dort?
Die Stadt ist zwar vom IS befreit, aber ein normaler Alltag ist dort noch immer unmöglich. Die meisten Häuser sind zerstört. Immerhin gibt es mittlerweile wieder Strom und Wasser. Dennoch sind die meisten Menschen noch nicht nach Karjatain zurückgekehrt. Die Angst, dass der IS zurückkommt, ist groß.

In welchem Zustand befindet sich Ihr Kloster Mar Elian? 

Der alte Teil des Klosters ist fast völlig zerstört, auch die Kapelle, wo sich der Schrein des heiligen Elian befand. Auch die neueren Gebäude sind in einem furchtbaren Zustand. Wir haben sie erst in den letzten 15 Jahren mithilfe von „Kirche in Not“ gebaut. Es tut mir in der Seele weh, dass es so gekommen ist. Aber ich hoffe, dass wir noch einmal von vorne anfangen können.

Der Krieg in Syrien geht unvermindert weiter. Friedensverhandlungen sind wiederholt gescheitert. Viele Menschen fliehen – unter ihnen auch Christen. Wie groß ist die Gefahr, dass das Christentum im Nahen Osten ausgelöscht wird?

Die Auslöschung ist längst Realität. Schon heute gibt es im Irak und in Syrien Gegenden, in denen keine Christen mehr leben. Danke an Deutschland und Europa, die mit Großzügigkeit und Liebe viele Flüchtlinge aufnehmen. Aber die Menschen fliehen nicht freiwillig. Sie haben keine andere Wahl. Das gilt besonders für die Christen in Syrien, denn wir sind eine kleine Minderheit. Die Gewalt, die in Syrien herrscht, ist unerträglich. Ich verstehe nicht, warum die anderen Staaten die Realität nicht sehen wollen und keine Entscheidung treffen. Die Welt muss endlich reagieren!

Wie sollte eine solche Reaktion aussehen? 

Wenn die Welt es tatsächlich ernst meint und die Fanatiker stoppen will, dann muss sie aufhören, mit Saudi-Arabien Geschäfte zu machen. Denn von dort kommen das Geld und die Waffen für den IS. Die Bombardierungen bringen gar nichts. Seit Jahren bombardieren die USA und Russland Syrien und den Irak. Und was haben sie erreicht? Haben sie die Gewalt der Terroristen gestoppt? Überhaupt nicht!

Was kann die Weltgemeinschaft stattdessen tun? 

Die Lösung kann nicht darin bestehen, diejenigen, die uns verfolgen, zu eliminieren. Der Dialog mit dem Islam ist die einzige Möglichkeit, die Extremisten zu stoppen. Das ist meine ganz persönliche Erfahrung. Wir, die Christen meiner Gemeinde, haben uns trotz der Gefahr entschlossen, keine Gewalt anzuwenden. Deshalb sind wir noch am Leben. Das hat uns ein Anführer des IS genauso gesagt: „Ihr ,Leute des Buches‘ [Bezeichnung im Koran für Juden und Christen; Anm. d. Red.] wendet nicht einmal uns gegenüber Gewalt an.“ Das hat uns das Leben gerettet.

Der Beitrag der Christen in diesem Krieg sollte also Gewaltlosigkeit und Dialog sein?

Im Frühjahr dieses Jahres hatte ich bei einem Gottesdienst folgende Eingebung: Unsere Welt braucht eine Revolution gegen die Gewalt. Nur dann kann sie Frieden finden. Wir wollen Werkzeuge des Friedens sein. So haben wir es in Mar Elian getan – ohne Ansehen der Person oder Religion. Unsere Arbeit wäre nicht möglich geworden ohne unsere Freunde von „Kirche in Not“. Dank Ihrer Unterstützung konnten wir Menschen vor dem Tod bewahren. Wir konnten sie mit Medikamenten versorgen, ihre Häuser wieder aufbauen, Familien Lebensmittel zur Verfügung stellen. Ihre Hilfe ist ein wichtiges Hoffnungszeichen für uns.

„Kirche in Not“ hat seit Beginn des Syrienkriegs Projekte in Höhe von 14,6 Millionen Euro unterstützt, die der notleidenden Bevölkerung zugutekommen. Auch in den Nachbarländern, insbesondere im Irak, hilft „Kirche in Not“ in den Flüchtlingscamps beträchtlich, damit die Menschen eine Zukunft in ihrer Heimatregion haben. Um weiter der notleidenden Bevölkerung beistehen zu können, bittet das Hilfswerk um Spenden – online unter www.spendenhut.de oder an folgendes Spendenkonto: 

Empfänger: KIRCHE IN NOT
LIGA Bank München
IBAN: DE63 7509 0300 0002 1520 02 BIC: GENODEF1M05
Verwendungszweck: Syrien 

Ein Artikel von www.Kirche-in-Not.de

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Die päpstliche Stiftung Kirche in Not ist in mehr als 140 Ländern tätig. Sie leistet Hilfe für Menschen auf der Flucht,  hilft beim Wiederaufbau zerstörter Gotteshäuser, ermöglicht den Bau und die Renovierung von Kirchen und Ausbildungsstätten, unterstützt die Aus- und Weiterbildung von Seminaristen, Priestern und Ordensleuten und sichert ihren Lebensunterhalt, stellt Fahrzeuge für Seelsorger zur Verfügung, druckt und verbreitet die Bibel und andere religiöse Literatur und fördert christliche Fernseh- und Radioprogramme.

Das Hilfswerk wurde 1947 vom niederländischen Prämonstratenser Werenfried van Straaten (1913-2003) gegründet. Um die Not der heimatvertriebenen Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg zu lindern, organisierte Pater Werenfried in Belgien und den Niederlanden Hilfe für die verhassten Feinde von gestern und rief zur Versöhnung auf. Da er anfangs bei den flämischen Bauern vor allem Speck sammelte, nannte man ihn bald den „Speckpater“.

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