Theologie

Krankheit – Strafe Gottes?

Dr. med Martin Fritz · 
15.06.2013

Was ist das für eine altmodische Frage? Interessiert die überhaupt noch jemanden? Strafe Gottes – das ist doch Mittelalter! Tatsächlich wird diese Frage heute noch gestellt. Dazu genügt ein Blick ins Internet. Unter genau unserem Thema als Stichwort finden Sie bei Google über 1 Million Treffer. Doch der Tenor einiger zufällig ausgewählter Beiträge ist: zwischen Strafe und Krankheit gibt es keinen Zusammenhang. Wenn Gott heute überhaupt noch eine Rolle spielen will, dann höchstens als Gott der Liebe, aber nicht als Gott der Strafe.

Was ist das für eine altmodische Frage? Interessiert die überhaupt noch jemanden? Strafe Gottes – das ist doch Mittelalter! Tatsächlich wird diese Frage heute noch gestellt. Dazu genügt ein Blick ins Internet. Unter genau unserem Thema als Stichwort finden Sie bei Google über 1 Million Treffer. Doch der Tenor einiger zufällig ausgewählter Beiträge ist: zwischen Strafe und Krankheit gibt es keinen Zusammenhang. Wenn Gott heute überhaupt noch eine Rolle spielen will, dann höchstens als Gott der Liebe, aber nicht als Gott der Strafe.Die Frage „Ist Krankheit eine Strafe Gottes?“ wird heute viel säkularer gestellt: Womit habe ich diese Krankheit verdient? Oder: Jetzt habe ich mein ganzes Leben so gesund gelebt, wie kann das jetzt sein? Oder: Warum trifft gerade mich dieses Schicksal? Das Neue Testament berichtet uns, dass Jesus einem von Geburt an Blinden begegnet und seine Jünger ihn fragen: „Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist?“, antwortet er: „Es hat weder dieser noch seine Eltern gesündigt, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm.“ Jesus verwehrt hier den Blick zurück auf das, was die Krankheit verursacht haben könnte, und lenkt ihn nach vorn auf das, was daraus werden kann und soll. An einer anderen Stelle hingegen richtet er selbst den Blick zurück: Zu dem Gelähmten, dessen Freunde ihn durchs Dach vor die Füße Jesu herunterließen, sagt er: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“Den Blick nach vorn hat die Frau, die sich in großem Menschengedränge Jesus näherte, um den Saum seines Kleides zu berühren. Wegen eines chronischen Blutverlustes hatte sie ihr gesamtes Vermögen zur Bezahlung der Ärzte ausgegeben, ohne geheilt zu werden. Sie wird durch die Begegnung mit Jesus geheilt. Und Jesus sagt zu ihr: „Meine Tochter, dein Glaube hat dir geholfen. Gehe hin in Frieden.“ Man könnte daraus schließen: der Glaube entscheidet über Krankheit und Gesundheit. Doch nicht zu voreilig:An seinen Lieblingsschüler Timotheus schreibt Paulus in 2.Tim 1,5: „Ich erinnere mich an den ungefärbten Glauben in dir.“ Also Bestnote für den Glauben des Timotheus. Und demselben Timotheus empfiehlt er in 1.Tim 5 zum Wasser etwas Wein zu trinken „um deines Magens willen, und weil du dauernd krank bist.“ Also Glaube kann Krankheit besiegen, aber andererseits kann Krankheit trotz größtem Glauben bestehen bleiben.Kommen wir zum ersten Zwischenergebnis: Nach dem Neuen Testament ist ein für alle gültiger Zusammenhang zwischen Vergangenheit und Krankheit nicht gegeben; auch können und dürfen wir nicht von der Krankheit auf den Glauben oder umgekehrt vom Glauben auf die Krankheit schließen.In der Medizin ist nun aber nach wie vor genau die Frage nach den Krankheitsursachen höchst brisant und zentral, wollen wir doch die Krankheiten möglichst von ihren Ursachen her behandeln.Nach heutiger Erkenntnis haben die allermeisten Krankheiten nicht nur eine Ursache, sondern werden von vielen Faktoren beeinflusst. Diese Faktoren nennen wir Risikofaktoren. Es ist ja mittlerweile banal, dass unsere Suchtmittel Zigaretten und Alkohol zahlreiche Krankheiten mit verursachen, also Risikofaktoren für diese Krankheiten sind. Aber auch psychische Faktoren haben Einfluss auf viele Krankheiten: Depressionen oder der Verlust naher Angehöriger können verschiedene Abwehrmechanismen messbar verschlechtern und damit zur Verschlimmerung oder zum Ausbruch von Krankheiten führen.Besonders intensiv wurden die Erbfaktoren erforscht. Mit der Entschlüsselung des gesamten menschlichen Erbguts im April 2003 glaubten viele Wissenschaftler, den Schlüssel für die meisten Erkrankungen gefunden zu haben: Bestimmte Erbfaktoren – also Gene – erzeugen bestimmte Erkrankungen. Das war die Logik. Doch weit gefehlt! Entscheidend ist, ob sich ein Gen überhaupt in den Zellen auswirken kann oder nicht. Von den vielen Tausend Genen werden in jeder Zelle immer nur ganz wenige angeschaltet, und davon hängt dann die Funktion der Zelle ab, aber manchmal eben auch, ob die Zelle krank wird oder nicht. Und bei dieser Steuerung spielt das Gehirn eine zentrale Rolle und damit auch geistige Faktoren. Gedanken, Einstellungen sind also mit verantwortlich für das An- und Abschalten der Gene. Das hat weitreichende Folgen. Es ist uns hier ein Weg gezeigt, wie geistige Einflüsse zu stofflicher Veränderung führen, in der Diktion des Apostel Johannes: wie aus Wort Fleisch wird!Als kleines Beispiel möchte ich einen gesicherten geistigen Risikofaktor erklären: nämlich die sogenannte „Katastrophisierung“ bei akuten Rückenschmerzen. 90 % der akuten Rückenschmerzen könnten und müssten vom anatomischen Befund her in 1-3 Monaten abheilen. Wenn der Patient jedoch dramatisierende Auskünfte bekommt, wie: „Ihre Wirbelsäule ist ein Trümmerfeld“, oder „Ihre Lendenwirbelsäule ist total kaputt“, wenn er also kleine Katastrophenmeldungen bekommt, ist das Risiko, dass die akute Krankheit chronisch wird, deutlich messbar erhöht. Diese Chronifizierung muss nach einer solchen Horrormeldung nicht zwingend eintreten, und andererseits spielen auch andere Faktoren eine Rolle; aber das Risiko der Chronifizierung ist durch die Dramatisierung eindeutig erhöht.Kommen wir also zum zweiten Zwischenergebnis: Auch nach moderner medizinischer Ansicht lässt sich praktisch nie ein einfacher Zusammenhang zwischen einem einzigen Faktor und einer Krankheit herstellen, sondern Krankheit resultiert aus einer Fülle von materiellen, körperlichen, psychischen, sozialen und geistigen Faktoren, die sowohl Krankheiten begünstigen, aber auch verhindern oder abschwächen können.Was hat das nun alles mit Strafe Gottes zu tun? Ein ganz großer Mangel in allen Ausführungen, die ich zu diesem Thema gelesen habe, ist, dass nie genau betrachtet wird, was das Strafen Gottes ist, wie Strafen im Neuen Testament definiert und erklärt wird. Es wird zumeist unsere landläufige Vorstellung von Strafe zugrunde gelegt, die einen sehr negativen Beigeschmack hat: etwa als primitive Reaktion eines Stärkeren, der seinen Emotion freien Lauf lässt an Schwächeren, die sich dann vorkommen, als seien sie seiner Willkür ausgeliefert. Das Strafen Gottes ist davon jedoch meilenweit entfernt. Zunächst die wichtige Feststellung: im Neuen Testament werden fünf ganz verschiedene Verben mit strafen übersetzt. Vier davon will ich hier näher betrachten:Zunächst zwei Verben, die schon von den Griechen als gegensätzlich angesehen wurden: kolazo und timoreo. Kolazo hat als ursprüngliche Bedeutung: die Flügel beschneiden; und timoreo bedeutet die Ehre wiederherstellen. Nach Aristoteles und Platon dient kolazo der Besserung des Bestraften; während timoreo der Befriedigung des Bestrafenden dient. Kolazo kommt im Zusammenhang mit Gott nur ein einziges Mal in 2.Petrus 2,9 vor: „Der Herr weiß die Frommen aus der Versuchung zu erretten, die Ungerechten aber festzuhalten für den Tag des Gerichts, um sie zu strafen“.(In der Rede Jesu über das ewige Gericht in Matthäus 25,46 kommt der gleiche Sachverhalt ohne Bezug auf Gott zur Sprache.)Und der Gedanke dieser Art des Strafens wird auch nur einmal im Zusammenhang mit Krankheit genannt in 1.Petrus 4,1 frei übersetzt: „denn wer körperlich leidet, der hört mit der schädlichen Lebensweise auf“. Ja – ein Herzinfarkt genügt meistens, um mit dem Rauchen aufzuhören.Timoreo, also das Strafen zur Befriedigung des Strafenden kommt im Zusammenhang mit Gott im Neuen Testament überhaupt nicht vor. Es wird nur von Lukas gebraucht in der Apostelgeschichte im Zusammenhang mit Paulus, der die Christen verfolgt, „um sie zu bestrafen“. Das zeigt, er wollte die Ehre der jüdischen Synagoge wiederherstellen.Jetzt zum dritten Wort für Strafen, das eine ganz zentrale Rolle spielt und 17-mal im Neuen Testament gebraucht wird: elengcho. In der alten Lutherübersetzung wird es fast nur mit Strafen übersetzt, in der neuen meist mit zurechtweisen. Es bedeutet eigentlich: jemanden überführen, entlarven. Etymologisch leitet es sich ab von: jemanden unsanft auf etwas stoßen. Wann wird elengcho gebraucht? Wenn wir die Realität verkennen, im Irrtum oder in Selbsttäuschung verharren, Schuld verdrängen oder nicht wahrhaben wollen, dann ist elengcho notwendig. Dies Wort steht z.B. bei Lukas, wo Johannes der Täufer den Herodes straft, oder überführt, oder zurechtweist „wegen Herodias und wegen alles Bösen, das er getan hat“. Herodes muss sich maßlos darüber aufgeregt haben. Und Johannes hat dieses Strafen teuer bezahlen müssen.Das ist bis zum heutigen Tag so: wenn Licht in schuldhafte Verstrickung fällt oder man von peinlichen Dingen überführt wird, kann dies sehr wohl als Strafe empfunden werden.Ausdrücklich wird elencho als Werk des Heiligen Geistes in Johannes 16 genannt: „Wenn der Heilige Geist kommt, wird er die Welt strafen“ – in der neuen Übersetzung: „wird er der Welt die Augen auftun – die Augen auftun über die Sünde und über die Gerechtigkeit und über das Gericht“.Das Hauptwort zu elengcho, elengchos wird in Hebräer 11,1 als notwendiger Aspekt des Glaubens bezeichnet. Dort wird ja Glaube definiert „als eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht“. Dieses Nichtzweifeln ist im Griechischen nicht als Verneinung formuliert, sondern eben mit elengchos, dem Überführtsein von dem, was man nicht sieht. Elengcho hat also einen doppelten Aspekt: es ist Teil des Strafens des Heiligen Geistes und gleichzeitig notwendiger Bestandteil des Glaubens. Ob wir wollen oder nicht: Wir müssen ans Licht gewöhnt werden, wenn wir Gemeinschaft haben wollen mit dem, der das Licht der Welt ist.Nun der vierte Begriff: epitimao. Er kommt sogar 29-mal im Neuen Testament vor und wird meist mit schelten übersetzt. Wo früher bei Luther strafen stand, steht heute auch oft zurechtweisen. Aber was steckt in epitimao wirklich? Epi heißt auf, timä heißt Ehre, Wert. Im Wirtschaftsleben bedeutet das Wort: den Preis erhöhen, man könnte auch sagen: den Wert steigern. Und da es bei der Bewertung einer Sache unterschiedliche Meinungen geben kann, ist ein unabhängiges Urteil gefragt; und so bedeutet das Wort in zweiter Linie richterlich festsetzen. Und wenn ein Richter im Spiel ist, kann dessen Urteil auch als Strafe empfunden werde; und so heißt epitimao erst in dritter Linie strafen, tadeln, schelten. Wir müssen uns aber die ganze Bedeutungsbreite des Wortes vor Augen halten: es geht bei diesem Strafen um die richtige Bewertung, ja um Aufwertung – wie es wörtlich heißt –, was auch das dazugehörige Hauptwort epitimia verdeutlicht. Epitimia bedeutet den Vollbesitz des bürgerlichen Rechts, volles Bürgerrecht. Es geht bei epitimao also um die Aufwertung eines Menschen, der in der Gefahr ist seinen Wert zu verlieren.Fassen wir also aus diesen vier Worten ein weiteres Zwischenergebnis zusammen: Göttliches Strafen will uns erstens abbringen von schädlicher, lebenszerstörender Lebensweise (kolazo), uns zweitens von unserer sehr beschränkten Sicht auf die materielle Seite des Lebens auf die viel größere weitgehend unsichtbare Realität des Lebens führen – gewissermaßen aus der Finsternis ins Licht (elengcho), und uns drittens dadurch in unserem von ihm zugedachten Wert wiederherstellen, um das volle Bürgerrecht in seinem Reich wieder zu erlangen (epitimao). Soviel zum strafenden Gott!Was hat das nun mit Krankheit zu tun? Krankheit nur im Zusammenhang mit dem Strafen Gottes in der eben beschriebenen Bedeutung zu sehen, trifft zwar manchmal zu, greift aber immer noch zu kurz. Sie muss in viel größerem Zusammenhang gesehen werden, nämlich als Teil des Redens Gottes mit uns Menschen. Er spricht ja auf viele Arten zu uns: Durch die Heilige Schrift, durch Menschen, durch Literatur, durch Musik, durch Naturereignisse und viele andere Mittel, aber eben auch durch Krankheit. Und was er uns sagen will, können wir Menschen nicht so ohne Weiteres ableiten aus unserer oder eines anderen Vergangenheit, weshalb uns Krankheit und vieles andere oft so völlig unverständlich ist. Und trotzdem will Gott verstanden, besser gehört werden. Es gilt sein Wort: „Höre, so wird deine Seele leben.“Sehr vielfältig kann die Botschaft, oder der Sinn der Krankheit sein: Eine positive Änderung des Lebensstils als Folge; auch unser Verständnis für andere in ihrem Leid kann wachsen, um sie vielleicht sogar trösten zu können. Krankheit kann aktivieren zu sinnvollen Aufgaben, z.B. in Selbsthilfegruppen. Vielleicht können wir auch viel besser die vielen kleinen Wunder, die uns umgeben, wahrnehmen, ja sogar in unserem Leid viel dankbarer werden als zuvor. Als Arzt habe ich das alles schon erlebt, leider natürlich auch das Gegenteil, dass ein Mensch die Botschaft nicht hören will; wobei ich mir nicht anmaße, den Sinn einer Krankheit für einen anderen zu erkennen oder zu wissen. Jeder muss für sich selbst hören. Die Botschaft ist immer individuell und kann letztlich nur vom Kranken selbst verstanden werden. Aber dass jeder Klarheit bekommen kann, das glaube ich schon.Achten wir ferner darauf, wie Jesus zu den Kranken spricht: seine Worte beschweren nie, wirklich nie! Mit seinen Worten richtet er auf, er tröstet, ja er heilt. Immer zielen seine Worte auf Heilung ab. Dies ist vielleicht der wichtigste Aspekt. Gott will nicht nur durch Krankheit zu uns sprechen, vielmehr in Krankheiten zu uns sprechen, dass wir ihn kennenlernen in dem, wie seine Worte uns Kraft geben und trösten können, ja wie er uns trägt und hilft, wenn wir Schweres durchmachen müssen.Ein letzter Impuls: Krankheiten mit ihren vielen Ursachen sollen unseren Sinn schärfen für das, was Gott uns sagen will: Ob dies nun unsere Vergangenheit betrifft, oder unsere gegenwärtige Situation, ob er uns zu neuen Aufgaben befähigen will, oder ob er uns sich selbst zu erkennen gibt in dem, wie er uns durch schwere Zeiten hindurch führt und durchhilft. Er will uns auch dadurch die Gewissheit geben, dass er zu uns steht, selbst wenn sich unsere Lebenszeit dem Ende zuneigt.

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