Wirtschaftswissenschaften

Führt die Finanzkrise zur Staatswirtschaft?

Prof. Dr. Friedrich Hanssmann · 
15.01.2009

Die seit Jahren zu beobachtende Krise und sinkende Popularität der sozialen Marktwirtschaft hatte den wirtschaftlichen und sozialen Konsens unserer Gesellschaft längst erschüttert, ehe die Finanzkrise ausbrach. Im Bilde gesprochen, traf der Blitzschlag der Finanzkrise ein bereits brennendes Haus. Was war vorausgegangen?

Neid und die Forderung nach (angeblich) größerer Verteilungsgerechtigkeit hatten sich zu zündenden politischen Parolen entwickelt. Die „Sozialpflichtigkeit des Eigentums“ – sprich die Steuerpflicht – der „Besserverdienenden“ und „Reichen“ sollte noch höher und schärfer angesetzt werden, ungeachtet der Tatsache, dass die 10% Bestverdienenden bereits über 80% des Steueraufkommens aufbringen. Das unmenschliche sozialistische Regime im Osten erhielt im Rückblick immer bessere Noten hinsichtlich der Verwirklichung von Gleichheit und Gerechtigkeit. Es sei so schlecht nicht gewesen, wenn auch die gute Idee des Sozialismus manchmal etwas schlecht ausgeführt worden sei. Die späte nostalgische Verklärung dieser Republik war nur möglich durch geschichtlichen Gedächtnisschwund. Die Unkenntnis von Schülern im Osten wie im Westen über die Geschichte der sozialistischen Republik und ihrer Verhältnisse ist erschreckend. Dies alles mag Methode haben. Die politische Folge war jedenfalls die zunehmende Salonfähigkeit der SED-Nachfolgepartei und ihr Siegeszug in Ost und West, im Osten bis zur stärksten Partei in weiten Regionen und zur Halbierung der Zustimmung zu bürgerlichen Parteien. Im Zuge dieser Entwicklungen kam es bis zur Salonfähigkeit der Linkspartei als Koalitionspartner und einem generellen Linksruck in Deutschland.

Die Verwirklichung dieser Bestrebungen erfordert allemal einen starken Staat mit großem wirtschaftlichem Einfluss, im (ideologischen) Idealfall die Staatswirtschaft. Die Macht des Staates ist gegeben durch seine Einnahmen. Staatliche Einnahmen aus Steuern und Schulden sind seit der Wende dramatisch gestiegen. Entsprechend stärker ist der Staat geworden, denn die staatlichen Einnahmen sind der Staat. Privatisierungen wurden zunehmend schwieriger. Der Ruf nach dem starken Staat wurde lauter.

In diese im Gang befindlichen Entwicklungen traf der Blitzschlag der Wirtschafts- und Finanzkrise. In dieser fand die bereits schwelende Akzeptanzkrise der freien Marktwirtschaft einen unerwarteten, starken Bundesgenossen. Um die Funktionsfähigkeit des Finanzsystems zu retten und den wirtschaftlichen Niedergang zu bremsen oder zu verhindern, wurden schwere und tiefe Eingriffe des Staates in die Wirtschaft in Form von „Rettungspaketen“, Garantien und Bürgschaften unausweichlich und wurden auch von seitherigen Anhängern der Marktwirtschaft als unausweichlich vertreten. Dem Staat fielen dadurch enorme Beteiligungen am Eigenkapital bedeutender Institutionen und Firmen zu und damit ein enormer Zuwachs an staatlicher Wirtschaftsmacht. Das Ziel des ausgeglichenen Haushalts rückte in weite Ferne. Die Einnahmen des Staates wurden durch neue Schulden gewaltig erhöht – und damit die Macht des Staates. Diese Entwicklung spielte denen in die Hände, die aus ideologischen Gründen schon immer einen starken Staat mit großer wirtschaftlicher Macht wünschten. Die Entwicklung war dem Aufmarsch zur Systemveränderung günstig. Die Zustimmung zur Marktwirtschaft sank auf 25%.

Als Prediger in der Wüste erschienen die wenigen, die dafür eintraten, dass nicht Systemveränderung, sondern die Beseitigung von Systemfehlern das Gebot der Stunde sei, nicht die Ausschüttung des Kindes mit dem Bade. Zu den Systemfehlern gehört zweifellos eine unzureichende Finanzaufsicht, die unverantwortlichen Spekulationen und Risiken nicht entgegentreten konnte oder wollte. Hier besteht ordnungspolitischer Handlungsbedarf. Zu den Systemfehlern gehört auch das Dickicht der undurchsichtigen abgeleiteten Finanzprodukte (Derivate), deren Funktionsweise, Wert und Risiko kaum jemand mehr zu durchblicken vermag. Zu nennen wäre ferner die Möglichkeit der Verwandlung von unsicheren Forderungen aus Hypothekendarlehen in handelbare Wertpapiere (securitization), die die gegenwärtige Krise ausgelöst haben. Der berühmte Management- Schriftstelle Peter Drucker schrieb schon vor Jahrzehnten, in finanziellen Angelegenheiten solle man nicht raffiniert, sondern einfach sein (not cunning but simple). Weiterhin geht es um unverantwortliche Risiken, zu denen Bankkunden massenhaft verlockt wurden und die schließlich auf die Banken zurückschlugen. Dass Bundespräsident Köhler, der als ehemaliger Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) gewiss sachkundig ist, den Banken, für die ein anspruchsvolle Risikomanagement das tägliche Brot sein sollte, vorhalten konnte, sie seien blind gewesen für die Risiken und hätten die vielfältigen Warnungen in den Wind geschlagen, ist sicherlich ein Skandal. Dahinter stand die Gier: nach Trichet, dem Präsidenten der europäischen Zentralbank (EZB), sei die akute Krise maßgeblich durch das Streben nach schnellem Gewinn ausgelöst worden.

Ob die Behebung dieser Systemfehler innerhalb der Marktwirtschaft gelingt oder wir bei einer Staatswirtschaft enden, ist ungewiss. Vom Standpunkt christlicher Werte ist jedoch gewiss, dass alles getan werden sollte, um die soziale Marktwirtschaft, die letztlich auf christlichen Werten beruht, zu erhalten und die Gefahr einer immer sozialistischeren Staatswirtschaft und eines starken Staates abzuwenden. Dies erfordert auch die Pflege der geschichtlichen Wahrheit über den real existierenden Sozialismus und der Wahrheit über die dem Sozialismus zwangsläufig innewohnende Unmenschlichkeit. Ferner gilt es, der Krise der Marktwirtschaft durch Beseitigung der Systemfehler entschlossen entgegen zu wirken. Hierbei geht es nicht nur um die Reparatur finanztechnischer Systemfehler, so dringend diese ist, sondern auch und vor allem um Werte. Der wichtige christliche Wert der Genügsamkeit und die eindrücklichen biblischen Warnungen vor dem Reich-Werden-Wollen und vor der Habgier als einer Wurzel alles Übels könnten ein wirksames Gegenmittel gegen das Streben nach schnellem Gewinn sein, das allzu leicht in unverantwortliche Risiken und in Korruption führt und die finanzielle und wirtschaftliche Katastrophe ausgelöst hat und immer auslösen wird.

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