Sozialwissenschaften

Die Europäische Dimension in der Lehrerbildung ist nichts – ohne die christliche Dimension!

Prof. Dr. Reinhard Kuhnert · 
01.01.2002

oder:

Das Christentum ist die wesentliche, geistige Orientierung und die europäische Dimension in der Lehrerbildung für das neue Millennium!

Zueignung 1: 

„For other foundation can no man lay than that is laid, – which is Jesus Christ“.

  • 1. Corinthians 3.11 – Das gilt auch für Europa!

Zueignung 2:

„Die Menschen haben Gott vergessen. Daher kommt das ganze Unglück.“

  • Alexander Solschenizyn

Zueignung 3:

„Education without God makes little devils“.

  • Lloyd George

Zueignung 4: 

„If we do not know our past, we lose our future. If we destroy our roots, we cannot grow!“

  • F. Hundertwasser

Zueignung 5:

No man is an island, entire of itself. Every man is a piece of the continent, a part of the main. If a clod be washed away by the sea, EUROPE is the less, as well as if a promontory were, as well as if a manor of thy friends or of thine own were. Any man’s death diminishes me, because I am involved in mankind. And therefore never send to know for whom the bell tolls. It tolls for thee!“

  • John Donne (1573-1531)

Zueignung 6:

Von dem, was man heute an den Universitäten denkt, hängt ab, was morgen auf den Plätzen und Straßen gelebt wird.“

  • Ortega y Gassset

„Die Entwicklung der europäischen Dimension im Bildungswesen“ ist im Vertrag zu Maastricht vom 7. Februar 1992 in Artikel 126 Absatz 2 festgeschrieben. Die ständige Konferenz der europäischen Erziehungsminister hatte bereits 1988 dieses Erziehungsziel festgelegt und dann in Wien am 16./17. Oktober 1991 die Einführung dieser „europäischen“ Dimension in die Lehrergrundausbildung (1. Phase) gefordert. Bevor es nun zur Einrichtung einer akademischen Disziplin wie der „Europäischen Studien“ an den Hochschulen kommt, ist es sinnvoll, daß sich die etablierten Fächer – wie z.B. die Philologien – mit der Identifikation dieser Dimension beschäftigen und sie in ihrer Lehre – auch im Sinne eines forschenden Lernens – ausbringen. Der klassische Weg dorthin ist zugleich das Motto des europäischen Humanismus „Zurück zu den Quellen! Ad fontes! Back to the roots!“ Die geistigen Quellen Europas – der Ursprung gemeinsamer Traditionen, Ideale und Überzeugungen für eine „kulturelle Identität“ – liegen nach allgemeinem Konsens in der griechisch-römischen Antike und dem Christentum, wobei „das letzte lebende Stück Antike in Europa heute das Christentum ist“, wie auf der Jahrestagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung 1997 gesagt wurde; denn die „Geschichte falle als sinnstiftende Instanz aus.“

Was ist eine „Dimension“? Sie ist die Ausdehnung und das Ausmaß der Ausdehnung von etwas in einem bestimmten Bereich; eine Dimension in der Algebra ist die Zahl der unbekannten Quantitäten , die als Faktoren in einem Produkt enthalten sind. Als dieser bestimmte Bereich soll hier die englische Literatur im Curriculum der Lehrerbildung gelten, die auf den Faktor „christliche Gehalte“ untersucht wird. Der ganze Reichtum einer europäischen Dimension wird dann offenbar werden.

Arbeit an der europäischen Dimension in der Englischlehrerbildung bedeutet, daß aus Fremden Kenner fremder Länder und fremder Mentalitäten werden. So wird der Englischlehrer in einer „Kultur des Zuhörens“ (Robert Picht) und des sich selbst für andere begreiflich Darstellens ausgebildet. Das setzt ein vergleichendes Verständnis der eigenen und der fremden, hier der englischen Literatur, voraus. Hier nun wird die Operationalisierbarkeit des Dimensionsbegriffs gefunden als informieren und reflektieren, analysieren und vergleichen im entdeckenden Lernen, das zugleich interkulturell ist!

Das jüdisch-christliche Erbe in der europäischen Literatur 

Der bisher umfassendste Versuch, eine europäische Literaturgeschichte herauszugeben, an der Experten aus allen europäischen Nationen mitgearbeitet haben, stammt von den Franzosen D’Annick Benoit-Dusausoy und Guy Fontaine aus dem Jahr 1992 (S.47-57). Darin wird dem jüdisch-christlichen Erbe ein besonderes Kapitel gewidmet. Die Autoren halten fest: die Grundlage von allem ist die Bibel und ihre universalen Konzeptionen mit der Vorstellung, daß die Geschichte der Menschen ein Ziel hat mit einer präzisen Absicht: daher der Glaube, daß das Leben Sinn hat. Hinzu kommen Themen, Motive, Erzählungen, Legenden, Wunder, Passionen, wirkungsmächtige biblische Gestalten, christliche Feste und Symbole, stilistischer Einflüsse etc.

Interkulturelles Lernen unter den Leitbegriffen „liberté – egalité – altérité!“ 

Interkulturelles Lernen ist zu einem Schlüsselbegriff der Fremdsprachendidaktik geworden: denn hier werden die sprachlichen Voraussetzungen für die Grenzüberschreitung der Individuen zwischen den Kulturen geschaffen.

Die Komparatistik und die Theologie des 20. Jahrhunderts haben sich mit dem Begriff und Status des Fremden, des Anderen – seiner „altérité“, seiner „otherness“, seinem Anderssein – beschäftigt. In der Kultur, dem vom Menschen gemachten Teil der Umwelt (Harry C. Triandis), der Gesamtheit des Wissens und der Ideen in einer Gemeinschaft und den dazugehörigen Schlüsselbegriffen, Assoziationen, Haltungen, Einstellungen, Glaubenssätzen, Normen, Werten, Rollen und Institutionen wird die Dialektik von Verschlossenheit und Offenheit gegenüber dem Anderen, dem Fremden nicht zureichend beschrieben. Denn dem Status der Anderheit (altérité,otherness), des Überschreitenden und also Transzendenten steht das Dämonische im Sinne Kierkegaards in seiner Sprachlosigkeit, seinem Für-sich-sein, seiner Selbsterfülltheit und seiner egoistischen Selbstgenügsamkeit gegenüber, welche die Kommunikation mit dem Anderen verweigert. Die Zurückweisung der „altérité“ und ihrer Transzendenz konstituiert den dämonischen Zustand der modernen Welt als eines „waste land“ (T.S.Eliot). Einer solchen Auffassung stand das frühe Christentum entgegen, das eine geistige Gemeinschaft oberhalb der Rassen und Völker denen bot, die Kontakt mit ihrer Herkunft und dem Land ihrer Herkunft verloren hatten: denn für den exilierten Menschen gibt es viele Wohnungen im Hause Gottes.(I.van der Poel 1991. S.193ff.). So stellte das Christentum dem „culte de territoir“ einen „culte spirituelle“ gegenüber. Aber es lieferte zugleich die negative Bewertung, daß der Kosmopolit kein guter Staatsbürger sei! Diese Bewertungsdichotomie von „altérité“ und Transzendenz einerseits und dämonischer Selbsterfülltheit andrerseits muß durch die Feststellung abgelöst werden, daß es „kein Recht auf das Anderssein“ (van der Poel) gibt, sondern nur den „Respekt vor dem Anderen“, dem Fremden, der man ja auch selbst zugleich ist. Dem entspricht Robert Pichts „positive Provokation“, daß alle Europäer sich in der Situation von Luxemburgern befinden (R.Picht. Praxis 4/1992, S.350).

Da der französische Begriff der „fraternité“ im Rahmen des europäischen Wettbewerbs auf dem gemeinsamen Markt der Nationen allzu idealistisch und realitätsfern wirkt (obwohl der Gründer der Waldorfpädagogik, Rudolf Steiner, ihn für außerordentlich tauglich als Orientierungswert für die Wirtschaftsethik hielt!!), sollte er durch denjenigen der „altérité“ oder der Andersheit des Anderen und der Achtung vor ihm als „europäisches“ Erziehungsziel ersetzt werden. Zugleich bekennen wir damit, daß wir nicht als Europäer geboren werden, sondern daß Europäer werden eine geistige Wahl, eine Entscheidung und dann eine ständige Aufgabe ist. Der große irische Romancier James Joyce hat diesen Prozeß in seinem Bildungsroman „A Portrait of the Artist as a Young Man“ (1916) beschrieben: der junge Held Stephen Dedalus befreit sich aus seiner irisch-katholischen, ethnozentrischen Erziehung; für ihn sind die anderen Menschen in der Welt keine „terrible, queer creatures“, sondern, wie die Stimmen ihm sagen, „we are your kinsmen“.

Pädagogik und Lehrerbildung – ohne Gott?

Die moderne Gesellschaft Europas befindet sich in einer Phase der Entchristlichung – oder wie eine Emnid-Institutsumfrage 1997 ermittelte: „Gott hat (in Deutschland) die Mehrheit verloren! Was an seine Stelle treten soll, wird nicht gesagt. Der bekannte Philosoph Hans Jonas nannte jedoch die Abschaffung der Transzendenz „den kolossalsten Irrtum der Weltgeschichte“. Wenn einmal das Christentum seine magnetische Kraft verlieren würde, befürchtete der Physiker und Nobelpreisträger Werner Heisenberg, „daß sehr schreckliche Dinge passieren können, die über die Konzentrationslager und Atombomben hinausgehen.“ „Wenn Gott tot ist, dann ist alles erlaubt“, sagte Dostojewski, und Alexander Solschenizyn brachte das heutige Dilemma auf den Punkt: „Die Menschen haben Gott vergessen. Daher kommt das ganze Unglück.“ Ein kurzer Blick in das gesellschaftliche Leben bestätigt das: kontrasozialer Egoismus, Angst vor dem Leben (Suizidgefährdungen), Konsum- und Verschwendungsmentalität, Abtauchen in die Illusion von Scheinwelten, Flucht in Pseudoreligiosität (Esoterik, Sekten New Age, Okkultismus) Anwachsen von Verhaltensnöten bei Kindern und Erwachsenen, deutlich steigende Kriminalität, besonders bei Kindern und Jugendlichen. Dieser Erosion der Gemeinsamkeiten versuchen Bildungspolitiker eine Besinnung auf die sog. Grundwerte und den Mut zur Werteerziehung entgegenzusetzen – mit geringem Erfolg. Der Bamberger Erziehungswissenschaftler Reinhold Ortner (1999. S.73) schreibt dazu: „Wo ein Volk, eine Gesellschaft, sich von Gott abwendet, gewinnt das Böse die Oberhand. Genau diese Situation haben wir heute“. Aus der Sicht der englischen Literatur beschreibt Doris Lessings dystopischer Roman „Die Memoiren einer Überlebenden“ (1974) anschaulich diesen Abstieg in die Barbarei, die Auflösung der zivilisierten Gesellschaft: und es sind die „schrecklichen“ Kinder, die die Träger dieses Prozesses sind! Diesem neuen Todeskult hält der Gott der Bibel entgegen: der Gott der Lebenden, nicht der Toten, der uns – fast bittend – zuruft: „Wählt das Leben, damit ihr am Leben bleibt, ihr und eure Nachkommen! Liebt den Herrn, euern Gott! Gehorcht ihm und bleibt ihm treu! Denn davon hängt es ab, ob ihr auf die Dauer als Volk fortbesteht…(Deut. 30. 19+20). Warum aber gedenkt dieser Gott des Menschen, der doch Staub ist? Das Christentum hat die Grundauffassung der Gottesebenbildlichkeit des Menschen und die Erfahrung eines personalen, sich selbst im Wort und in der geschichtlichen Heilstat mitteilenden Gottes. Der Mensch – bei seinem Namen gerufen – entspricht dem Anruf Gottes (Gerhard L.Müller. 1999. S.209). Von hier aus wird Menschenwürde begründet und Lebenssinn gefunden, aber zugleich auch Grundlage und Ausgangspunkt für die europäische Dimension in der Lehrerbildung und Kindererziehung. Diesen allen gilt die Mahnung des Johannes: „Meine Kinder, laßt euch nicht mit falschen Göttern ein! „(1.Joh.5.21) Die moderne, sich globalisierende Medien-welt ist voll von ihnen.

„Catching the sense at two removes“ versus „plain English“ oder „wirkliche“ Literatur versus christliche Dichtung 

Die Frage, ob religiöse Dichtung überhaupt Dichtung ist, hat die Literaturkritik seit langem beschäftigt. Am bekanntesten wurde die Argumentation Dr. Samuel Johnsons (1709-1784), DEM Literaturpapst der englischen Aufklärung. Er schrieb dazu in seinem „Life of Waller“ (in: „Lives of the Poets“):

„The essence of poetry is invention; such invention as, by producing something unexpected, surprises and delights. The topics of devotion are few, and ebing few are universally known; but few as they are, they can be made no more; they can receive no grace from novelty of sentiment, and very little from novelty of expression. Poetry pleases by exhibiting an idea more grateful to the mind than things themselves afford. …….:but religion must be shown as it is; suppression and addition equally corrupt it……..From poetry the reader justly expects, and from good poetry always obtains, the enlargement of of his comprehension and elevation of his fancy; but this is rarely to be hoped by Christians from metrical devotion. Whatever is great,…is comprised in the name of the Supreme Being….Perfection cannot be improved.“ So würde religiöse Dichtung eher die Geschöpfe und die Schöpfung als den Schöpfer preisen. (S.Johnson.S.122) Diese Positionen werden von Donald Davie, dem in Barnsley/S.Yorkshire geborenen späteren Stanfordprofessor und Herausgeber des New Oxford Book of Christian Verse (Erstausgabe 1981), so modifiziert, daß unser Unternehmen fortgeführt, statt aufgegeben werden kann. Was also ist nach davie christliche Dichtung?

  1. Christliche Dichtung appelliert, entweder implizit (rebellisch, sardonisch) oder explizit, an eine oder mehrere der spezifisch christlichen Lehren, wie vor allem die Inkarnation, das Gericht, der Sündenfall es sind.
  2. Da der christliche Glaube auf bestimmten Doktrinen und auf historischen Erzählungen über das Leben eines bestimmten Menschen beruht, entsteht christliche Dichtung dadúrch, daß „the teller of them reveals in his telling the doctrinal implications of the story he tells.“ (Davie.S.xx-xxi)
  3. Wie alle großen Weltreligionen so beansprucht auch das Christentum die Gesamtheit des menschlichen Verhaltens zu umfassen und zu leiten, so daß nunmehr die Darstellung von grausamem oder treulosem Verhalten in der Politik oder der Liebe nicht einfach „maladjustment“, also mangelhafte oder gestörte Anpassung ist, sondern Sünde!! Und die sich so verhielten, wußten es, und so kann man viele der vergangenen Dichtungen als christliche Dichtung bezeichnen (S.xvii). So verschwimmt die genaue Grenze zwischen weltlicher und christlich-religiöser Dichtung (S.xviii).

In einem sind sich aber Dr. Johnson, Donald Davie und auch der wohl zurecht bedeutendste Dichter der anglikanischen Kirche einig: der Stil christlicher Dichtung hat „plain“, also schlicht, einfach, nicht ornamental und dekorativ überladen zu sein, auch weil die Dichter für „einfache Menschen“ schreiben. George Herbert faßt das in seinem poetologischen Gedicht „Jordan 1“ in eine rhetorische Frage:

„Must all be veiled, while he that reads, divines, Catching the sense at two removes?“ (G.Herbert. S.49)

 

Die ausgewählten Werken im einzelnen 

Ich ordne die einzelnen Werke nicht den klassischen Gattungskategorien Lyrik, Epik, Dramatik zu, sondern gliedere nach Jahrhunderten. Die beste Lyrik-Anthologie ist das New Oxford Book of Christian Verse.

1. Altenglische Zeit

The Dream of the Rood (7.-10. Jahrhundert) Anon.

„Das Traumgesicht vom Kreuz“ steht am Anfang der englischen Literaturgeschichte und ist wohl eines der ältesten Gedichte in englischer Sprache überhaupt. Sein Autor ist unbekannt. „The „Rood“ is one of the glories of Old English literature; indeed of English literature as a whole“, preist es Kemp Malone, und Andrew Sanders sagt in seiner englischen Literaturgeschichte von 1994: „There are few more impressive religious poems in English“ (S.27). Es ist das allererste Gedicht in Donald Davie’s New Oxford Book of Christian Verse.
Die Vision des Träumers ist die Darstellung der Passion Christi aus der Sicht oder Perspektive des Kreuzes selbst. So hat das sprechende Kreuz Gelegenheit, auf theologische Punkte hinzuweisen, das germanische Ethos der Loyalität in christlichen Gehorsam zu überführen und also die heroische Pflicht in christliche Leidensbereitschaft umzuwandeln.

Caedmon’s Hymn (um 670) – eine Variation auf das Thema „Laßt uns den Schöpfer loben!“
Caedmon ist der erste, namentlich bekannte, christliche Dichter Englands. Der neunzeilige Hymnus auf den Schöpfer umschreibt in reicher Fülle den Namen Gottes. Die rhetorische Figur der Variation ist „die Seele der altenglischen Dichtung“. Das Variation bedeutet nicht die städinge Wiederholung einer Idee, sondern nuancenreiche Betonung unterschiedlicher Aspekte in einem Begriff. Leben und Text sind uns durch Bedas Kirchengeschichte des englischen Volkes, geschrieben im Jahr 731, überliefert.

2. Mittelenglische Zeit

Geoffrey Chaucer, „father of English poetry“: Auswahl aus den „Canterbury Tales“ (1387) – als Musical bearbeitet im Jahre 1993. Im allgemeine Prolog werden sie charakterisiert – ihre Geschichten oder „Tales“ weisen sie dann aus: der Bettelmönch, der Ablaßkrämer, der Priester.

Everyman (ca. 1490) 

Das Moralitätsspiel – eine dramatisierte, allegorische Parabel – vom Sterben des reichen Mannes ist immer noch ein europäisches Theaterereignis und füllt die Freilichttheater. „Das Geheimnis des großen „Jedermann“-Erfolges liegt ..darin, daß die Handlung und ihr Sinn jeden Zuschauer, den Kompliziertesten und den Primitivsten, am tiefsten rührt und ihm zu Herzen geht; daß jedermann versteht, was dargestellt wird“ – so der große Regisseur Max Reinhardt in einem Brief von 1931. Der Konflikt bzw. Kampf der Tugenden und Laster um die Seele des Menschen ist die ganze Handlung. Auf die Frage des Todes: „Hast thou forgot thy Maker?“ hat Everyman keine Antwort und fürchtet das Rechenschaft geben.

müssen.Die guten Taten (Good-Deeds), die ihn ins Grab begleiten werden, haben eine Schwester – „Knowledge“ – , die ihn leiten wird: „Everyman, I will go with thee and be thy guide, in thy most need to go by thy side.“(Everyman. S.94). Wichtig ist die Erkenntnis, daß Everymans „Humanisierung“ in der Extremsituation der Konfrontation mit „seinem“ Tod stattfindet – einer Erkenntnis, der die moderne Zeit in der Form der Spaßgesellschaft gern ausweicht. Interessant ist es darüber hinaus, daß „Goods“, also der Besitz, zum eigentlichen „Schurken“ oder „villain“ des Stückes wird.

3. Tudor Age (16th century)

William Shakespeare(1564-1616) 

Sonnet No.146 („Poor soul, the center of my sinful earth,“) Auswahl aus den Stücken: Merchant of Venice, Hamlet, Lear, The Tempest
Harold Bloom nennt Shakespeare „das Zentrum des Literaturkanons“ überhaupt, nicht nur des europäischen! Sein Einfluß ist weltweit: er wird auf fast allen Bühnen der Welt immer noch regelmäßig gespielt, also „not of an age, but for all time“, wie sein Zeitgenosse Ben Jonson in der Widmung zur ersten Folio-Werksausgabe schon 1623 ahnend schrieb. Hinzu kommt, daß er seit den ersten Übersetzungen Christoph Martin Wielands im 18. Jahrhundert zur deutschen Literatur gehört wie ein Einheimischer!

Aus seinen Stücken sollen vier Schwerpunkte aus zugleich vier Stücken herausgegriffen werden.

1. „The Merchant of Venice“: 4. Akt 1. Szene, ab Zeile 181

Portias Plädoyer für die Gnade („mercy“) aus dem christlichen „Gesetz“ des Geistes heraus sucht das Buchstabengesetzesverständnis des Shylock und sein „gerechtes/ungerechtes“ Rachebedürfnis zu überwinden – zunächst vergeblich!

2. „Hamlet“: „But I have that within which passes show“(I.2.85) – dieser Hinweis auf die protestantische Entdeckung der Souveränität des individuellen Gewissens führt die Tragödie über ein konventionelles Rachedrama hinaus, auch wenn sie ohne den Anlaß des Rachemotivs nicht entstanden wäre.

Die christlichen Fragen an Hamlet lauten darüber hinaus:

  • Setzt Hamlet die (selbst-)zerstörerischen Kräfte in Bewegung, indem er höchst unchristlich das Liebesgebot dem Racheauftrag unterordnet? Entmenschlicht er sich gar dadurch?
  • Ist es nicht unchristlich, keinerlei Reue über den grausamen Mißbrauch der Ophelia, seiner Mutter und der zahlreichen Morde zu empfinden?
  • Ist „Hamlet“ ein Stück über eine fehlgeleitete Liebe? Denn „our thoughts are ours, their ends none of our own“(III.2.212).

3. „King Lear“: Für unseren Zusammenhang ist Nihilismus in zwei Hauptträgern der Handlung wichtig: Edmund und Lear selbst. Beide beten die „Natur“ als Göttin und damit sich selbst an

(I.2.1-22; I.4.267f.). In diesem Götzendienst wird eine Ursache für die unmenschlichen Handlungen gefunden („Humanity must perforce prey on itself“ -IV.2.52). Während sie den einen,

Edmund, von aller Rücksichtnahme und damit zum Verbrechen befreit, ergeht sich der alte König in Selbstmitleid über die Erfahrung der Undankbarkeit, dem „thankless child“ (I.4.281) und dem „ungrateful man“ (III.2.9), und es ist eines dieser undankbaren Kinder, Cordelia, die sich für ihn „opfert“. Die Auffassung, daß „Lear is more sinned against than sinning“, entspricht nicht dem Stück – und einer christlichen Bewertung.

4. „The Tempest“:
Shakespeares letztes Stück (1611) ist eine Kritik an Utopia, dem untauglichen Versuch der Menschen, das Goldene Zeitalter zu übertreffen. Auf der Insel kommen sie alle zusammen und bringen ihre böse Vergangenheit mit; zugleich fahren einige damit fort, ihre Mordanschläge zu planen, wie schon vorher. Eine „schöne, neue Welt“ (V.1.183) wird es nicht geben. Alle die „Sündenmänner“ – einschließlich Caliban (vgl. seine sofortige Bereitschaft, einen Saufbold als Gott zu verehren!), Stephano und Trinculo – können nur durch Anerkennung ihrer Bosheit, Reue und ein „neues Leben“ danach („heart-sorrow and a clear life ensuing“ -III.3.81-2). Dann kann ihnen Vergebung zuteil werden. Das gilt auch für Prospero, den Demiurgen, der einsieht, daß er seine ursprüngliche Rache nicht ausleben darf („the rarer action is virtue than in vengeance“ – V.1. 27-28), weil er – auch in der Fähigkeit zum Bösen – genauso fühlt wie die Sündenmänner. Deshalb schwört er auch seiner übernatürlichen Macht ab und taucht wieder in das Allzumenschliche ein, das immer wieder sündig wird und also der göttlichen Vergebung bedarf. (vgl. Epilog Zeilen 17-20)
Shakespeare übt auch Kritik im christlichen Geist an einem seine philosophischen Neigungen auslebenden Herzog Prospero, der erst dadurch dem Böse Raum verschaffte. Das ist im Sinne Augustinus, der im 19.Buch, Kapitel 18 sagt: „No man has a right to lead such a life of contemplation as to forget in his own case the service due his neighbor; nor has any man a right to be so immersed in active life as to neglect the contemplation of God.“ Zwischen beiden Verantwortlichkeiten gilt es die Balance zu halten.
„Der Sturm“ ist auch ein Stück über Erfolg und Scheitern von Erziehung: der Lehrer (Prospero) muß mit dem unberechenbaren Bösen in seinen Zöglingen rechnen und entsprechende Maßnahmen treffen. Das Böse ist immer dann am mächtigsten, wenn es sich mit der Selbstzentriertheit der jeweiligen (dramatischen) Person(en) verbündet.

4. Das 17. Jahrhundert (17th century) 

George Herbert (1593-1633): The Temple:Sacred Poems – eine Auswahl
Herbert ist wohl der bedeutendste aller anglikanischen Dichter. Er schreibt im Bewußtsein, daß christliche Dichtung wahr sei in dem Sinne, daß die Welt, die die weltliche Dichtung besingt, nur Abbild der wahren Schönheit sei, nicht die Schönheit selbst („Jordan 1; Jordan 2; Sonette in Waltons „Life of Herbert“).

Was die Gedichte so faszinierend macht, sind zudem ihre den Predigten gegenüber strukturelle Ähnlichkeit: die Dreigliederigkeit. Der Exposition des Themas folgt der meist antithetische Dialog, die Reflexion und Interpretation, auf die die Lösung und/oder Anwendung folgt – häufig auch als ein Gebets-schluß (Beispiele: The Quip, The Flower etc.). Zwei Gedichte mögen für die vielen anderen stehen, die dem modernen religiösen Gefühl am meisten entsprechen. Im Gedicht „The Temper“ – also über die reale, menschliche Veranlagung – das ständige Fluktuieren des Glaubens und der Gefühle – berührt uns der Gebrauch des Adverbs „sometimes“ am stärksten und läßt uns weitermeditieren:

The Temper (1)* (The Poems. 1961. S.47-8)

 

How should I praise thee, Lord, How should my rhymes

Gladly engrave thy love in steel,
If what my soul doth feel sometimes,
My soul might ever feel.

Although there were some forty heavens, or more,

Sometimes I peer above them all,
Sometimes I hardly reach a score (einen Teil),

Sometimes to hell I fall.

O rack me not to such a vast extent;

Those distances belong to thee;

The world’s too little for thy tent,

A grave too big for me.

Wilt thou meet arms with man, that thou dost stretch

A crumb of dust fromheav’n to hell?
Will great God measure with a wretch?
Shall he thy stature spell?

O let me, when thy roof my soul hath hid,

O let me roost and nestle there;
Then of a sinner thou art rid,
And I of hope and fear.

Yet take thy way, for sure thy way is best;

Stretch or contract me, thy poor debtor;

This is but tuning of my breast,
To make the music better.

Whether I fly with angels, fall with dust,

Thy hands made both, and I am there;

Thy power and love, thy love and trust

Make one place everywhere.

The Pulley*(New Oxford Book. S.78-79)

When God at first made man,
Having a glass of blessings standing by,

„Let us,“ (said he) „pour on him all we can;

Let the world’s riches, which dispersèd lie,

Contract into a span.“

So strength first made a way;
Then beauty flowed, then wisdom, honour, pleasure.

When almost all was out,

God made a stay,

Perceiving that alone of all his treasure
Rest in the bottom lay.

„For, if I should“ (said he)
„Bestow this jewel also on my creature,

He would adore my gifts instead of me,

And rest in Nature , not the God of Nature:

So both should losers be.

„Yet let him keep the rest,

But keep them with repining restlessness;

Let him be rich and weary, that at least,

If goodness lead him not, yet weariness

May toss him to my breast.“

Es sind nicht nur die Wortspiele mit „rest“ oder das Augustinische Diktum: „Das Herz ist voller Unruhe, bis daß es ruhet in Dir“, das hier dichterisch gefaßt wird, sondern auch die theologische, biblische Realität des menschlich- allzu menschlichen Götzendienstes am Geschaffenen selbst, dem die schließliche Ermüdung durch die permanente Ruhelosigkeit des Lebens ein Ende bei Gott bereitet und ihn, der den Menschen mit jenem „pulley“ oder Flaschenzug zu sich zieht.

John Donne (1572-1631):

Eine Auswahl: „Good Friday 1613, die Sonette „Batter, my Heart“ und „Death, be not proud!“, sowie die „Hymn to God the Father“
Seit 1621 ist er Dean von St.Paul’s Cathedral in London; Hofprediger und oft in diplomatischer Mission auf dem Kontinent (Cadiz) , auch in Deutschland (1619).

John Milton (1608-1674) 

Paradise Lost(1667) /Paradise Regained (1671)
Milton hat sich ein Leben lang vorbereitet, um das letzte große, europäische Epos – in der Nachfolge von Homer, Virgil und Dante – zu schreiben. Es wurde zum Vorbild für Klopstocks „Messias“ und Vorlage zum Textbuch für Händels Oratorium „Der Messias“, uraufgeführt in Dublin 1742.
Bevor er sein Epos schrieb, war er während des englischen Bürgerkriegs der Sekretär Oliver Cromwells und verfaßte u.a. politische Essays, z.B. über die Pressefreiheit („Areopagitica“). Das Thema von „Paradise Lost“ ist der Sündenfall der ersten Menschen, ein Ereignis jedoch, von dem aus das Schicksal der gesamten Menschheit bestimmt wurde. Der Fall besteht in der einfachen Tatsache des Ungehorsams, der seinen Ursprung im Stolz hat: zu denken, man selbst sei Gott. Darum: „the great moral which reigns in Milton..is the most universal and most useful that can be imagined:, that Obedience to the will of God makes men happy and that Disobedience makes them miserable.“ (C.S.Lewis.S.71)
Für den Theologen Milton war das Motiv für die Tat, die Einstellung wichtiger als dessen Ergebnis (vgl.auch sein berühmtes Sonett „On His Blindness“): darum wird auch Satan wegen seines Haupthandlungs-motivs, des Stolzes nämlich, der schlimmsten der sieben Todsünden, verdammt. „What we call bad things are good things perverted..This perversion arises when a conscious creature becomes more interested in itself than in God..and wishes to exist ‚on ist own’…This is the sin of pride.“ (C.S.Lewis.S.66). Satan formuliert folgerichtig: „Evil, be thou my good!“ – was soviel heißt (mit den Worten C.S.Lewis‘): „Nonsense, be thou my sense!“(Lewis.S.99)

John Bunyan(1628-88): The Pilgrim’s Progress (1678)

/Grace Abounding to the Chief of Sinners(1666)

Bunyans „Pilgerreise“ wurde gleich nach seinem Erscheinen ein englischer, dann ein europäischer Bestseller, und nächst der King James Bible wurde sie das einflußreichste Buch in den amerikanischen Kolonien. Es ist auch das „protestantischste“ Buch der englischen Literatur. C.G. Jungs Formulierung erläutert das: „Das Christentum hat die Autonomie von Gut und Böse zu einem Weltproblem und durch die dogmatische Formulierung des Gegensatzes zu einem absoluten Prinzip erhoben. In diesen vorderhand ungelösten Konflikt ist der christliche Mensch hineingestellt als ein Protagonist des Guten und als Mitspieler im Weltdrama. Diese Nachfolge Christi bedeutet, wenn im tiefsten Sinne verstanden, ein Leiden, welches weitaus den meisten unerträglich ist.“ Darum war die Kirche genötigt, „das Joch Christi zu erleichtern“. Die Protestanten jedoch, die sich von der römischen Kirche lossagten, nahmen dafür die persönliche Verantwortung für die Nachfolge Christi auf sich. (E.Harding.1957. S.134-5). John Bunyan stellte sich diesem Konflikt und seiner Verantwortung in aller Härte und Treue. Möglicherweise liegt das Geheimnis des Erfolges des Buches auch in der Kombination des Pikaresken (die realistische Atmosphäre der Reiseepisoden) mit dem Allegorischen, das geistige und moralische Bedeutung dem Konkreten gibt. Obwohl das Ende des Romans vorherbestimmt ist, wird das menschliche Drama nie beeinträchtigt, weil im richtigen Leben dieses Ende nie sicher ist. Das garantiert Bunyan durch die Wahl der Erzählperspektive (Christian als Ich-Erzähler) und die Wahl des Hauptthemas, nämlich der permanenten Ungewißheit der Hauptfigur „Christian“ über seine moralische Zukunft, seiner ständigen Gefährdung durch Zweifel und Verzweiflung, ja der Angst vor der Verdammnis. Die Pilgerreise ist das Drama der Suche („engl.: quest“) nach der persönlichen Errettung, also eine geistliche Autobiographie – aus dem Geist des Puritanismus. „Vanity Fair“, der Jahrmarkt der Eitelkeiten, ist schreckliche Durchgangsstation, nicht Endstation (wie später bei Thackeray – und heute?) Christian ist eine Traumfigur: man kann alle anderen Figuren als seine personifizierten Eigenschaften betrachten, – Psychoanalytiker sprechen gar von den Aspekten seines „Schattens“, dem verdrängten „alter ego.“ „Christians“ Reise ist eine Reise, die jeder – auch heute noch! – unternehmen muß, der nach Individuation strebt.

5. Das 18. Jahrhundert (18th century)

Christopher Smart (1722-1771) und William Cowper (1731-1800) gehören nach dem Urteil Donald Davies (zusammen mit George Herbert) zu den bedeutendsten religiösen Dichtern der englischen Literatur (New Oxford Book of Christian Verse. S.xxiv). Nicht zu vergessen ist Charles Wesley (1707-1788), der Gründer des Methodismus und zugleich ein großer Choraldichter.

William Blake (1757-1827): Jerusalem (1804)
Blake ist ein von Emanuel Swedenborg beeinflußter Visionär, ein sich der Aufklärung widersetzender „dissenter“, ein „Holy Ghost Christian“ (M.Ferber.1978.S.439). Für ihn ist Gott in der Imagination anwesend: „Man is all Imagination. God is Man & exists in us & we in him.“(Annotations to Berkeley’s Siris.) Darum wird das göttliche Bildnis überall und in allen Religionen gefunden – dazu das folgende Gedicht.

The Divine Image (1794:Songs of Experience)

To Mercy, Pity, Peace and Love

All pray in their distress;
And to these virtues of delight

Return their thankfulness.

For Mercy, Pity, Peace and Love

Is God, our father dear,
And Mercy, Pity, Peace and Love

Is Man, his child and care.

For Mercy has a human heart,
Pity a human face,
And Love, the human form divine,

And Peace, the human dress.

Then every man, of every clime,

That prays in his distress,
Prays to the human form divine,

Love, Mercy, Pity, Peace.

And all must love the human form,

In heathen, turk or jew;
Where Mercy, Love and Pity dwell

There God is dwelling too.

Daniel Defoe(1660-1731) : Life and Adventures of Robinson Crusoe (1719)
Das „Epos der Einsamkeit“, das den Menschen als religiöses und zivilisierendes Wesen darstellt – also: Robinson als den „Empire builder“! – ist zugleich eine Lieblingslektüre lesender Knaben, wie ihnen ja schon Jean Jacques Rousseau im 1. Buch seines pädagogischen Romans „Émile“ als allererstes Buch empfahl.

Im Vorwort erklärt Defoe seinen Roman nicht als „fiction“, sondern als „a history of fact“, um die puritanische, ablehnende Kritik an allem Fiktionalen abzufangen. Der Schiffbruch und die wundersame Rettung wird für Robinson Anlaß zur Selbstintrospektion. Nach einem schrecklichen Traum beginnt er sich zu fragen, warum Gott ihm das alles angetan hat, vor allem aber: was er selbst dazu beigetragen hat – und warum er nicht aufgrund seines bisherigen Lebens vernichtet wurde. Seine darauffolgende tägliche Bibellektüre öffnet ihm die Augen. – Ebenfalls führt seine Beobachtung des Kannibalismus der Eingeborenen und deren schwerer Schuld ihn zur sehr vernünftigen Überlegung, daß er sich nicht einmischen und sie dem Gericht Gottes überlassen solle, denn – so seine Begründung – ihre Verbrechen seien ja „national“, also Bestandteil ihrer Kultur. Nur wenn er selbst angegriffen würde, würde er zurückschlagen. Einer der ersten englischen Kolonialreichgründer steht in seinem puritanischen „common sense“ vor uns!

Henry Fielding (1707-1754)From: The Adventures of Joseph Andrews(1742)
Die kontrastreiche, satirisch-humorvolle und sozialkritische Darstellung der Begegnung zweier Pfarrer, nämlich des Parson Abraham Adams und des Parson Trulliber in Buch 2 Kapitel 14, kritisiert christlichen, oft realitätsfernen Idealismus und die ebenso realitätsnahe Heuchelei. Es ist deutlich, wo unsere, des Lesers Sympathien liegen werden.

Oliver Goldsmith(1728-1774): The Vicar of Wakefield (1766)
Die Schwächen machen den Pfarrer Primrose menschlich und darum sympathisch.

6. Das 19. Jahrhundert (19th century)

Charles Dickens (1812-70): A Christmas Carol (1843)

Das beliebteste der Dickens’schen Weihnachtsbücher ist eine Bekehrungsgeschichte: der furchtbare, selbstsüchtige Geizhals Scrooge wird mit seinem rücksichtslosen und lieblosen Leben angesichts des Todes konfrontiert, das soviel Unglück über die Menschen seines Verantwortungsbereichs gebracht hat. Daraufhin ist Scrooge am Weihnachtstag ein veränderter Mensch.

George Eliot (alias MaryAnn Evans) (1819-1880): Adam Bede (1859)
Sie übersetzte David Friedrich Strauss‘ Leben Jesu und Feuerbachs „Wesen des Christentums“ (1841) ins Englische; zusammen mit Thomas Carlyle und Samuel Taylor Coleridge gehört sie zu den herausragenden Vermittlern deutscher Literatur im England des 19. Jahrhunderts. Ihr Lebensgefährte ist George Henry Lewes (seit 1854), der erste Goethe-Biograph überhaupt, nicht nur außerhalb Deutschlands. „Adam Bede“ ist ihr erster Roman.

In der Figur der Dinah Morris konzentriert George Eliot den Methodismus in der noch vorindustriellen Gesellschaft eines Dorfes in den Midlands. Dinah ist eine Studie des religiösen Charakters – mit Sympathie und nicht mit karikierender Distanz.

Weitere Auseinandersetzungen mit dem Christentum im 19. Jahrhundert werden bei den Protagonisten des Oxford Movement (Keble, John Henry Newman, 1801-90) später konvertierter Kardinal) und den herausragenden, viktorianischen dichtern gefunden, wie z.B. bei Alfred Lord Tennyson ( „In Memoriam“), Emily Dickinson (1830-86) und dem unvergleichlichen Gerald Manley Hopkins (1844-89) ( Pied Beauty (1877); The Wreck of the „Deutschland“(1918))

Beide Gedichte sind typisch für Hopkins, wobei das letztere seine „Theology of ‚News'“ interpretiert, oder, wie es Joseph M. Bizup formuliert: es ist ein „tutorial for the practical interpretation of the world as word, expression, news of God.“

7. Das 20. Jahrhundert (20th century)

Graham Greene (1904-1991): The Power and the Glory (1940)
Ein Priester wird zum Verfolgten, weil er gegen die Gebote des Staates seine Aufgabe als Priester wahrnimmt : was im weltlichen Sinn ein Vergehen ist, ist im religiösen Sinn Berufung und Auftrag. Die Beziehung von Glaube und Welt wird um Hauptthema!

G.B.Shaw(1856-1951): Major Barabara(1907) (oder auch: Candida; Saint Joan)

T.S. Eliot (1888-1965): Murder in the Cathedral (1935) Eliots populärstes Stück, dessen Verse den „Everyman“ zum Vorbild haben,
hat das Martyrium Thomas à Beckets, nicht seinen Charakter zum Thema. Es zeigt, wie Thomas den Versuchungen, die im Martyrium liegen, widersteht, um nicht wegen eines falschen Motivs Märtyrer zu werden. Das falsche Motiv ist der geistliche Stolz, die Todsünde Satans.

Der dramatische Monolog „The Journey of the Magi“
Die drei Weisen oder Magi sind Heiden, die etwas Neues suchen und damit konfrontiert werden. Ihre Frage (die eines modernen Menschen?) bleibt, ob sich dadurch etwas geändert hat. War das Ergebnis nur „satisfactory“?

Der Waliser Priester-Dichter R.S.Thomas (*1913) sollte wenigstens Erwähnung finden.

Tim Rice (*19.11.1944) / Andrew Lloyd Webber (*22.März 1948) :
Jesus Christ Superstar (1970)

Die Rezeptionsgeschichte der Rock-Oper – vor allem in England und Amerika, einschließlich des jüdischen Protestes! – ist selbst ein wichtiger Aspekt der Auseinandersetzung mit dem Werk. und Rice/Webber haben mit ihr ein Vermögen verdient.

Die Oper ist vom Standpunkt des intellektuellen Judas Ischariot geschrieben, dem es um die Antwort auf die Frage geht: Wer ist Jesus wirklich? Aus welchen Motiven verehrt ihn die Menge? Warum scheint Jesus das zu „genießen“? Und am Ende steht die Frage, ob Judas ein „Opfer“ ist.

Haben nun Rice und Webber ein zeitgenössisches Passionsspiel geschaffen, das den zutiefst Gläubigen erzürnen, die jugendlichen Agnostiker jedoch verzaubern kann?

Schlußbemerkung 

Eine europäische kulturelle Identität wird man in drei Bereichen suchen:

  • der Entdeckung eines gemeinsamen Gedächtnisses
  • dem Miteinander-Teilen gemeinsamer Sorgen und
  • der Erhaltung einer gemeinsamen Zukunft.

Das gemeinsame Gedächtnis wird vor allem durch das gemeinsame Christentum bestimmt. Die Beispiele aus der englischen Literatur weisen in eine Richtung, die durch eben solche aus der französischen, deutschen, italienischen, spanischen Literatur ergänzt und verglichen werden können. So kann eine Kultur der Toleranz entstehen, die als ein „Miteinander mit Andersgesinnten“ und nicht als Unterdrückung der eigenen Überzeugung verstanden und gelebt wird. Man kann das auch Einheit in der Vielfalt nennen.
Warum sollen wir uns heute noch im Multimedia-Zeitalter mit Literatur beschäftigen? Denn nichts ist so alt wie eine Zeitung von gestern. Dazu hören wir Ezra Pound: „Literature is news that STAYS NEWS.“
Das gilt erst recht für die GUTE NACHRICHT! Europäische Qualität gewinnen beide zusammen!

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Prof. Dr. Reinhard Kuhnert, Kuhnert, Jg. 1939 1970:Promotion an der Universität Hamburg zum Thema „Studien zu christlichen Gehalten in Shakespeares Romanzen“ ; 1973 Professor für Anglistik und Didaktik; 1977-8: Prorektor; 1978-1990: Rektor der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd; stellv. Vorsitzender der Rektorenkonferenz:1978-80;1986-90; Dekan der Fakultät II seit 1. Nov. 2000

Bibliographische Hinweise 

Battenhouse, Roy (ed.):Shakespeare’s Christian Dimension. Bloomington: Indiana University Press, 194
Benoit-Dusausoy, D’Annick/Guy Fontaine (ed.):Lettres Européennes: Histoire de la Littérature Européenne. Paris: Hachette, 1992

Bloom, Harold: The Western Canon. New York: Riverhead Books, 1995 Davie, Donald (ed.): The New Oxford Book of Christian Verse. OUP 1990 (reprinted)
Dinzelbacher, Peter (Hrg.): Europäische Mentalitätsgeschichte. Stuttgart:Kröner, 1993

Erzgräber, Willi: Der englische Roman von Joseph Conrad bis Graham Greene. Tübingen:Francke, 1999
Esch, Arno:Englische religiöse Lyrik des 17. Jahrhunderts. Tübingen 1955

Ferber, Michael: Blake’s Idea of Brotherhood. In: PMLA 93.1978, S.438-47
Greer, Germaine: Shakespeare. Oxford UP 1986
Harding, Esther: Selbsterfahrung – eine psychologische Deutung von Bunyans Pilgerreise. Zürich:Rheinverlag, 1957

Herbert, George: The Poems of G.H. – with an introduction by Helen Gardner. 2nd Edition. Oxford UP 1961

James, Harold/Maria Stone (eds.):Ehen the Wall Came Down. Reactions to German Reunification. New York/London, 1992 (Darin die „Fourth Reich“-Phobie des Conor Cruise O’Brien)

Jasper, David Colin Crowder (eds.): European Literature and Theology in the 20th Century. New York:St.Martins, 1990
Lewis, C.S.: A Preface to Paradise Lost.reprinted. Oxford UP 1960 Müller,Gerhard Kudwig:Das Personsein – Grundlage der Menschenwürde. In: Hochschulbildung im Aus? – 2. Symposium des Professorenforums. Hrg.von Eberhard Beckers u.a. Gießen:Verlag des Professorenforums, 1999. S.201-15
Ortner,Reinhold: Pädagogik – wo bleibt die Ausrichtung auf Gott? In: Pluralismus und Ethos der Wissenschaft. 1.Symposium des Professorenforums 28/29.März 1998 in Frankfurt/Main, herausgegeben von Eberhard Beckers u.a. Gießen:Verlag des Professorenforums, 1999. S.69-78
Picht, Robert: Im Gespräch mit der Praxis des neusprachlichen Unterrichts zum Thema ‚Sprachliche Bildung und Interkulturelle Begegnung‘:In: Praxis 4/1992, S.350
Sanders, Andrew: The Short Oxford History of English Literature. Oxford:The Clarendon Press, 1994
Seeber, Hans-Ulrich (Hrg.):Englische Literaturgeschichte. Stuttgart:Metzler, 1991
Walsh, Michael: Andrew Lloyd Webber. Schott-Mainz/Piper-München, 1994

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